Gerangel am politischen Wühltisch

Spanien steht nach den Parlamentswahlen vor schwieriger Regierungsbildung

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Dezember hat Spanien nur eine geschäftsführende Regierung. Und nach den Neuwahlen am vergangenen Sonntag dürfte sich das so schnell nicht ändern.

An Optimismus fehlt es ihm nicht, an Koalitionspartnern schon - Spaniens konservativem Regierungschef Mariano Rajoy. In Madrid führt der Vorsitzende der konservativen Volkspartei (PP) die Geschäfte, bis es gelingt, eine Regierung mit parlamentarischer Billigung auszustatten.

In Brüssel auf dem EU-Gipfel verbreitete Rajoy Zuversicht. Von dort blickt man immer besorgter auf das viertgrößte Euroland. Rajoy versuchte am Donnerstag, die anderen Staats- und Regierungschefs zu beruhigen. Die sehnen sich nach dem Brexit nun nach Stabilität in Spanien. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren Freund gedrängt, schnell eine Regierung zu bilden. Rajoy versicherte deshalb, »in einem Monat« eine »stabile Regierung für vier Jahre« zu bilden. Er bekräftigte, dass er deshalb eine Große Koalition nach Vorbild Deutschlands mit den Sozialisten (PSOE) anstrebe.

Zurück in Madrid, hörte sich das anders an: »Ohne Eile, aber ohne Rast und ohne Spektakel« wolle er vorgehen. Erst nächsten Dienstag beginnt er mit Gesprächen. Dann verhandelt er nicht mit PSOE-Chef Pedro Sánchez, dem Traumpartner. Stattdessen trifft er sich mit der einzigen Vertreterin der kleinen Coalición Canaria (CC). Im besten Fall käme er dann auf 138 Sitze, von der Mehrheit mit 176 Sitzen bliebe er weit entfernt.

Die Parteistrategen der PP arbeiten derweil an Szenarien, wie es Rajoy unter den neuen Stimmenverhältnissen schaffen könnte, eine stabile Situation zu erreichen. Zwar hat die PP sich wieder etwas erholt, doch an den großen Blöcken hat sich kaum etwas verändert. Die PSOE zeigt ihm weiter die kalte Schulter: Sánchez erklärte nach den Wahlen, weder »aktiv« noch »passiv« durch Enthaltung eine Rajoy-Regierung zu ermöglichen. Während der Parteichef weiter auf Tauchstation ist, bekräftigte PSOE-Sprecher Antonio Hernando mehrfach dessen Position auch gegen interne Kritiker. Man wolle zwar mit Rajoy sprechen, sollte der den Kontakt suchen, doch der solle im rechten »ideologischen Umfeld« um Unterstützer buhlen. Es gäbe 183 Parlamentarier, die politisch der PP näher stünden als die 85 der PSOE, sagte Hernando.

Alle wissen, dass es sich Rajoy mit allen christdemokratischen Regionalparteien aus dem Baskenland oder Katalonien verscherzt hat. Deren Stimmen benötigte er nun auch, falls ihn die 35 Parlamentarier der rechtsliberalen Ciudadanos unterstützen würden. Die Aushöhlung von Autonomierechten und die Rezentralisierung haben dafür gesorgt, dass sich die katalanische CDC dem Unabhängigkeitsbündnis angeschlossen hat. Die baskische PNV sieht sich auch wegen der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik als »Antipode« zur PP, sagte PNV-Sprecher Aitor Esteban. Derzeit sei sogar eine Enthaltung unmöglich. Bei den Katalanen ist die ausgeschlossen. Deren Entsetzen ist noch gewachsen. Veröffentlichte Gesprächsmitschnitte zeigen, dass Rajoys Innenminister Jorge Fernández Díaz gegen katalanische Politiker konspiriert hat, um Anklagen gegen sie zu konstruieren.

Und die Ciudadanos fordern für die Unterstützung von Rajoy weiter eine Erneuerung der PP, die tief im Korruptionssumpf steckt. Mit Rajoy als Regierungschef und dem Innen- und Finanzminister »sind wir in der Opposition«, bekräftige Ciudadanos-Chef Albert Rivera. Nur sein Veto nahm er zurück, womit über eine Enthaltung im zweiten Wahlgang eine Minderheitsregierung möglich werden könnte. Doch dafür müssten sich auch die Sozialisten enthalten, wofür sich Stimmen mehren, um einen dritten Wahlgang zu vermeiden. Der PSOE-Regionalfürst Guillermo Fernández Vara führt diese Fraktion an. Das »Fehlen einer Regierung« schade dem Land mehr als die Kontinuität mit Rajoy, meint der Regierungschef der Extremadura. Rajoy steht vor einer schwierigen Entscheidung: Eine schwache Minderheitsregierung zu führen oder in die zweite Reihe abzutreten. Denn nur ohne ihn könnte Spanien eine stabile Regierung unter Führung seiner PP bekommen. Wenn Rajoy am Dienstag seine Gespräche mit der CC-Parlamentarierin Ana Oramas beginnt, wird auch sie seinen Rücktritt fordern. Oramas setzt auf eine Minderheitsregierung aus PP, Ciudadanos und ihrer CC - ohne Rajoy.

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