»Gegen jegliche Art von Putsch«

Feleknas Uca ist Abgeordnete der linken HDP. Sie berichtet von zunehmender Repression in der Türkei seit dem Aufstandsversuch. Ein Gespräch

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Uca, nach dem gescheiterten Putschversuch diskutiert die türkische Regierung die Wiedereinführung der Todesstrafe. Befürchten Sie, dass dadurch die Distanz zur EU noch größer wird?
Es kann nicht sein, dass ein Land, das von Demokratie spricht und sich der EU annähern will, von der Todesstrafe spricht. Ein Staat, der diese wiedereinführt, hat keinen Platz innerhalb der EU. Dieser Diskussion muss man sich in der Türkei stellen.

Halten Sie es für realistisch, dass die Todesstrafe wirklich eingeführt werden könnte?
Ja. Die rechte MHP hat bereits eine Erklärung abgegeben, dass sie das Vorhaben unterstützt. Auch Präsident Erdogan teilte mit, das Gesetz zu unterschreiben, wenn es im Parlament angenommen wird. Die Todesstrafe jetzt einzuführen, würde aber nicht zur Verurteilung der Putschisten führen. Sie kann nicht rückwirkend angewendet werden. Es bedarf erst einer Verfassungsänderung, das Parlament muss das Gesetz zuvor bewilligen.

Wie haben Sie den Putschversuch erlebt?
Ich war in Diyarbakir. Abends erreichte uns die Nachricht, dass die Bosporus-Brücke geschlossen wurde und das Militär mit Panzern auf die Straßen fährt. Es war erst nicht klar, was passiert. Das Schlimmste war die Bombardierung des Parlaments. Die Regierung hatte dann schnell die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich gemacht. Es ist ganz interessant, dass bereits bis zum nächsten Morgen hunderte Menschen festgenommen worden waren. Wie schnell kann man wissen, wer dahinter steckt?

Was glauben Sie, wer dafür verantwortlich war?
Im Moment wird sehr viel spekuliert. Man muss sehr vorsichtig sein, jemanden zu benennen. Es geht hier um keine Kleinigkeit, egal, von wem es ausgeht. Unter den Festgenommenen sind hohe Vertreter des Militärs, die verantwortlich waren für die Zerstörung der kurdischen Städte. Bis vor Kurzem wurden sie noch ausgezeichnet für das Töten von Zivilisten. Das widerspricht sich mit einigen Erklärungsversuchen.

Wie verhält sich die HDP zu dem versuchten Staatsstreich?
Wir sind gegen jegliche Art von Putsch. Weder ein militärischer noch ein ziviler darf unterstützt werden. Das haben wir noch am selben Abend erklärt. Dieser Staatsstreich war gegen die Bevölkerung insgesamt gerichtet.

Was meinen Sie mit »zivilem Putsch«?
Die AKP versucht sich seit einigen Tagen als demokratische Kraft zu präsentieren. Die große Zustimmung für Erdogan könnte nun doch zu dem von ihm gewünschten Präsidialsystem führen. Auf diese Weise kommt man direkt in den nächsten Putsch. Wir sprechen von einer Regierung, die gerade eine Zerreißprobe erlebt. Es gibt mächtige Probleme mit dem Militär und zahlreiche Festnahmen und Entlassungen in allen institutionellen Bereichen. Gleichzeitig wurde in AKP-Kreisen die Aufforderung weiterverbreitet, dass Bürger sich bewaffnen sollen. Zahlreiche Nachrichten-Webseiten sind ohne Richterbeschluss gesperrt, überall wird eingegriffen. Das ist ein gefährlicher Zustand, die Demokratie ist in Gefahr.

Befürchten Sie, dass die Repression gegen Kurden, Zivilgesellschaft und Linke weiter zunimmt?
Auf jeden Fall. Seit dem Putschversuch wird aus Regierungskreisen zu Demonstrationen aufgerufen, die Menschenmassen sind auf den Straßen. Es herrscht eine Hetzstimmung gegenüber Kurden und Aleviten, zum Beispiel in Malatya oder auch in Istanbul. Es gab Übergriffe in verschiedenen Städten auf HDP-Parteibüros. Frauen wurden auf offener Straße angegriffen, Geschäftsleute beschimpft. In Nusaybin haben Sondereinheiten drei HDP-Abgeordnete angehalten, bedroht und attackiert. Es kann passieren, dass die Festnahmen ausgeweitet werden. Als nächstes sind wir Politiker dran, die Immunität unserer Abgeordneten ist bereits aufgehoben. Auch Menschenrechtsaktivisten und Demokraten sind in Gefahr, es kursieren schwarze Listen zu Journalisten.

Auf Videos sah man viele Demonstranten islamische Parolen rufen. Welche Rolle spielt die Religion?
Gleich nach dem Putsch wurden die Gebetshäuser von der Regierung aufgefordert, zu Demonstrationen gegen den Staatsstreich zu mobilisieren. Das ist das erste Mal in der Geschichte, dass Moscheen im Einsatz einer politischen Partei standen. Die Religion wird bei diesen Protesten ausgenutzt. Wenn das so weitergeht, muss man befürchten, dass die Islamisierung innerhalb des Landes zunimmt.

Die HDP forderte am Tag des Putsches eine demokratische Lösung. Wie kann diese in der jetzigen Situation erreicht werden?
Die HDP hat bei einer Fraktionssitzung am Montag einen Plan beschlossen. Die wichtigsten Punkte: Wir fordern einen Untersuchungsausschuss zu dem versuchten Staatsstreich. Dieser Antrag wurde im Parlament von uns als einziger Partei eingereicht. Der Friedensprozess mit der PKK soll zudem wieder aufgenommen werden. Wir fordern auch die sofortige Aufhebung aller Ausgangssperren in den kurdischen Gebieten. Für eine Lösung der Staatskrise müssen jedoch alle Parteien und Vertreter der Zivilgesellschaft an den Verhandlungstisch kommen. Die Regierung muss jetzt entscheiden, welchen Weg sie einschlagen will. Eine Lösung kann man nur gemeinsam finden.

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