Polizeipferde und Schlagstöcke gegen Antifas in Nürnberg

Zeitung rekonstruiert umstrittenen Einsatz bei Nazi-Versammlung

Eine Polizei-Reiterstaffel bei einem Protest im September in Nürnberg – in diesem Fall anlässlich des Gazakriegs.
Eine Polizei-Reiterstaffel bei einem Protest im September in Nürnberg – in diesem Fall anlässlich des Gazakriegs.

Nachdem die Antifaschistin Hanna S. vom Oberlandesgericht München zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, gab es tags darauf in verschiedenen Städten Proteste. Auch in Nürnberg versammelten sich an jenem 27. September nach Polizeiangaben 1200 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung mit anschließender Demonstration. Die richtete sich zugleich gegen den Aufmarsch des rechtsextremen »Teams Menschenrechte«, das unter dem Motto »Gemeinsam für Deutschland« zur selben Zeit durch die Innenstadt zog.

Die Polizei hatte den rund 100 Rechtsextremen unter anderem erlaubt, eine Zwischenkundgebung an der Säule für Meinungsfreiheit abzuhalten. Dort sollte des in den USA getöteten Rechtsextremen Charlie Kirk gedacht werden. Das sorgte in der Stadt für breite Kritik: »Nazis in der Straße der Menschenrechte – das ist ein Tiefpunkt für Nürnberg«, schrieb etwa der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion Nasser Ahmed in sozialen Medien.

Am Nachmittag kam es dann in der westlichen Innenstadt zu einer Blockade, bei der mehrere linke Demonstrant*innen von Pferden und Schlagstöcken der Staatsgewalt verletzt wurden. Die »Nürnberger Nachrichten« haben dazu mit Betroffenen und Zeug*innen gesprochen sowie Arztbriefe und Videoaufnahmen ausgewertet – und von Aktivist*innen erhobene Vorwürfe damit bestätigt. Die Bilanz der Prügelorgie lautet demnach aufseiten der Demonstrierenden: Prellungen, Hämatome, Gehirnerschütterungen, ein angebrochener Oberkiefer, abgebrochene Zähne und eine offene Fraktur der Hand.

Ein Aktivist, der sich gegenüber der Zeitung Daniel nennt, habe einer am Boden liegenden Frau helfen wollen, als Polizist*innen des bayerischen Unterstützungskommandos (USK) mit erhobenen Schlagstöcken auf ihn und seine Gruppe zurannten. »Ich hob die Hände, um zu zeigen, dass ich nichts tue«, schildert er. Ein Schlagstock traf seine linke Hand daraufhin so heftig, dass der Knochen zersplitterte.

Nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Personen sollen vier Reiterinnen der Polizeipferdestaffel unvermittelt in die noch stehende Menge geritten sein. Dabei sei Panik ausgebrochen, eine Frau sei gestürzt und unter ein Pferd geraten. Sie trug eine Prellung am Unterarm und eine Schürfwunde davon. Ein Augenzeuge sprach gegenüber den »Nürnberger Nachrichten« von einer »verantwortungslosen Situation« und nannte den Einsatz »unverhältnismäßig«.

Die Polizei Mittelfranken schildert das anders: Eine polizeiliche Reiterin sei mit einer Fahnenstange attackiert und dabei an der Schulter verletzt worden; das Pferd habe daraufhin eine Frau »umgestoßen«, schreibt die Zeitung. Das USK sei dann wegen des Angriffs eingeschritten. Verletzungen bei den eingesetzten Kräften habe es nicht gegeben.

Ein weiterer Vorfall ereignete sich eine Straße weiter, wo USK-Trupps Aktivist*innen den Weg versperrten, um ein Zusammentreffen der Linken mit der rechten Demonstration zu verhindern. Eine junge Frau wurde dort mit einem Schlagstock ins Gesicht geschlagen: »Das muss mit so einer Wucht passiert sein, dass mir zwei Zähne abgebrochen sind und ich kurz darauf bewusstlos wurde«, berichtet sie. In ihrem ärztlichen Befund ist ein angebrochener Oberkiefer dokumentiert.

Mehrere Verletzte berichten, ihnen sei von der Polizei erst spät oder gar nicht geholfen worden. Viele wollten keine Anzeige erstatten – aus mangelndem Vertrauen in eine unabhängige Prüfung oder aus Furcht vor etwaigen Gegenanzeigen der Polizei.

In Nürnberg sorgen die Übergriffe immer noch für Diskussionen. Vier Tage nach dem Einsatz tagte dazu der Innenausschuss im Stadtparlament – mit einem großen Andrang auf der Empore. Wohl deshalb beschloss das Gremium, künftig nicht mehr öffentlich über das Thema zu beraten. Der erste dieser nicht öffentlichen Termine steht bereits fest.

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Grüne, SPD, Linke Liste und die Allianz gegen Rechtsextremismus forderten am 7. Oktober in einem offenen Brief an die Stadtspitze Aufklärung zur Genehmigung der Versammlung des »Teams Menschenrechte« in der Straße der Menschenrechte. In seiner Antwort erklärte Oberbürgermeister Marcus König (CSU), er teile die Besorgnis über »Aggression, Spaltungstendenzen und die Außenwirkung« des Aufmarschs – der Stadt seien aber versammlungsrechtlich die Hände gebunden gewesen. Ein Eingreifen oder eine Routenänderung seien rechtlich »aussichtslos« gewesen.

Die Rote Hilfe Nürnberg wirft der Stadt vor, das Entstehen einer organisierten faschistischen Szene in der Region zu fördern. Wer sich dagegen wehre, werde verfolgt: »Woran wir hier gewöhnt werden sollen, ist einfach: Polizeieinsatzkräfte, die mit jedem Mittel gegen ihre Feinde vorgehen dürfen«, sagte ein Sprecher der Solidaritätsorganisation zu »nd«.

Gegen den Einsatz von Polizeipferden in Nürnberg und darüber hinaus gibt es nun eine Petition, in der von Risiken für Tiere und Menschen die Rede ist: Pferde seien sensible Fluchttiere, die in Lärm, Enge und Stresssituationen – wie etwa auf Demonstrationen – unkontrollierbar reagieren könnten. Die Unterzeichnenden verlangen, auf Landesebene eine Überprüfung der Reiterstaffeln einzuleiten. Ziel sei eine Polizeiarbeit, die ohne Tiere und mit deeskalierenden Mitteln auskommt.

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