Menschlich nachvollziehbar, aber illegal
Aktivist nach Besetzung von leerstehendem Gebäude für Flüchtlingsunterbringung verurteilt
Konkret ist nicht gleich konkret. So sieht es eine Richterin des Amtsgerichts Tiergarten, die am Freitag über die Besetzung eines Gebäudes zu entscheiden hatte. Der Angeklagte Carsten Sch. wurde wegen Hausfriedensbruchs verurteilt.
Er hatte mit weiteren Aktivisten am 10. September letzten Jahres ein ehemaliges Gebäude der Technischen Universität in der Englischen Straße besetzt, um daraus eine Notunterkunft für Flüchtlinge zu machen. Das Gebäude stand leer und sollte abgerissen werden. Die Aktivisten wollten nach der Besetzung mit dem Eigentümer verhandeln, das Haus bis zum Abriss zwischennutzen zu können. Doch stattdessen wurden sie noch am gleichen Tag geräumt.
Im Gerichtssaal erklärt Sch. seine Beweggründe: »Vor einem Jahr schliefen jede Nacht Hunderte Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales.« Ehrenamtliche gaben Essen aus und brachten Decken. Auch Sch. war häufig vor Ort, brachte Tee und ließ Flüchtlinge in seiner Wohngemeinschaft schlafen. »Aber es blieben immer Leute zurück«, sagt er im Gericht. »Niemand schien sich zuständig zu fühlen. Ein weiteres bloßes Zuschauen hätte ich nicht mit mir vereinbaren können.«
»Das waren keine Chaoten«, sagt Sch.s Anwalt Martin Henselmann. »Das Gebäude wurde sorgfältig ausgesucht, ein Konzept wurde entwickelt und an den Eigentümer ein Vertragsangebot gemacht.« Er plädierte auf Freispruch: Sein Mandant habe im Sinne des Paragrafen 34 des Strafgesetzbuches gehandelt, nämlich eine Tat begangen, um eine gegenwärtige Gefahr von anderen abzuwenden - Flüchtlingen, denen Krankheit oder letztlich sogar der Tod gedroht habe. »Hier lag eine konkrete Gefahr für Menschen vor, sofortiges Handeln war notwendig, die Verantwortlichen handelten aber nicht.«
Die Richterin stimmte zu, dass vor dem LAGeSo im vergangenen Jahr »unhaltbare Zustände« herrschten und größere Schäden »nur durch freiwillige Helfer« abgewendet werden konnten. Eine konkrete Gefahr im Sinne des Paragrafen 34 sah sie aber nicht. Dafür hätte der Angeklagte beispielsweise sehen müssen, wie jemand angegriffen wird und dann eingreifen müssen.
Weil seine Gründe »menschlich nachvollziehbar« seien, er nicht vorbestraft ist und bei der Verhaftung keinen Widerstand geleistet hatte, verurteilte die Richterin Sch. auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Wird er innerhalb eines Jahres nicht wieder straffällig, verfällt auch das.
»Das ist das mildest mögliche Strafmaß«, sagte Henselmann im Anschluss an das Verfahren. Sch. aber will, dass sein Handeln als rechtmäßig anerkannt wird. Er erwägt, in Berufung zu gehen.
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