Die Ungeduld den Wolken überlassen
Der Lyrikband »Staatenlose Insekten« von Kai Pohl
Die Subkultur im Prenzlauer Berg lebt immer noch. Mit kleinen Zeitschriften, Kleinstverlagen und mit bierseligen, verqualmten Lesungen wird sie am Leben erhalten. Es funktioniert. Einer ihrer Protagonisten ist der Lyriker Kai Pohl, der seit Jahrzehnten regelmäßig seine Publikationen abliefert - und dabei immer besser wird.
Keine Ahnung, ob sich Kai Pohl selbst als Teil einer Subkultur betrachten würde, aber die Tatsache, dass sein Werk nicht in den bekannten Verlagshäusern vertreten ist, kann nicht auf die Qualität seiner Arbeiten zurückgeführt werden, eher darauf, dass sich die Prenzlauer-Berg-Szene einfach nicht darum bemühen mag. Der Wohlfühleffekt scheint hier besonders hoch zu sein.
Kai Pohl legt nun mit »Staatenlose Insekten« einen Band vor, der nicht nur Gedichte enthält, wie es das Buchcover angibt, sondern auch Cut-up-Texte - eine Schreibtechnik der US-amerikanischen Beat Generation der 1950er Jahre, die im Buch extra gekennzeichnet sind - und kurze, aber auch experimentelle Prosa. In sieben Kapiteln, jeweils mit einem Dreizeiler eingeleitet, versammelt Pohl 57 Arbeiten von 2006 bis 2015. Seine Gedichte sind direkt, manchmal mit Anmerkungen, und immer poetisch in all ihren Themen. Überschriften wie »Eine Losung ist noch keine Lösung« oder »Futschikato« sind weder auf Effekte aus, noch wälzen sie sich in Weltschmerz. Sie riechen noch etwas nach »Osten«, was kein Manko ist, aber sie schmecken nach Weltläufigkeit. Die Lust am Experimentieren mit der Wortanordnung, und die Kritik an der bestehenden Weltordnung entladen sich in einem Lächeln poetischer Worthaufen. Undogmatisch und trotzig werden die Texte den Verhältnissen entgegengesetzt - in dem Wissen, dass sich trotz allem manchmal eben auch ein Bierchen in der friedlichen Abendstimmung genießen lässt.
Lyrik ist nicht in der Lage, die Welt zu verändern. Dessen ist sich Pohl bewusst. Privates, Natur, Alltägliches, Fantastisches findet Platz in seinen Texten, aber ein Quäntchen Widerstand gehört (fast) immer dazu. Kai Pohl hat sich längst freigeschrieben. Für ihn braucht es keinen Vergleich. »Ich sollte meine ungeduld/ den wolken überlassen/ den worten und dem licht.«
Die Schwarz-Weiß-Fotos, die zwischen den Texten angeordnet sind und die Idylle des ungarischen Landlebens widerspiegeln, stammen vom Autor selbst. Manchmal scheinen sie hier etwas deplatziert, da sie in keinem Zusammenhang mit den Gedichten zu stehen scheinen. Aber durch ihren Blick auf das Detail entfalten sie eine eigene Poesie.
Es gilt in diesem Fall, noch ein paar Worte über den neu gegründeten Verlag mit dem eigenartigen Namen zu verlieren: Hermann Ja Ooster, selbst Lyriker, von Beruf Steinmetz, stellt sich mit dem Quiqueg-Verlag nicht nur in die Tradition des Westberliner Karin Kramer Verlages, sondern hat - im Gegensatz zu diesem - einen Blick für das Ästhetische. Dies verbindet ihn wohl auch mit dem Grafiker Kai Pohl. Jeder Umschlag hat ein anderes Grundmuster eines Steins, der Titel wird in einem farbigen Quadrat darüber gelegt und für den Namenszug des Verlages eine eigene Schrift entworfen. Kai Pohls Gedichtband ist das achte Buch des ambitionierten Verlages. Lyrik entzieht sie sich einer messbaren Wertung, aber sie kann das Leben - vorübergehend - freundlicher machen. Dies ist Kai Pohl mit seinem Buch gelungen.
Kai Pohl: Staatenlose Insekten. Gedichte. Quiqueg Verlag, 110 S., br., 14 €.
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