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It’s raining Manosphere
Was haben der Crypto-Wahn und Chatbots mit Christmas und dem Selbstbild des Mannes zu tun?
Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
auf die Gefahr hin, dass ich als alte Nörglerin abgestempelt werde: Die jungen Männer von heute sind eine Enttäuschung. Studien zufolge sind männliche Angehörige der Generation Z in Rollenbeziehungen konservativer als Boomer und in politischer Hinsicht konservativer als Millennials und dabei ideologisch so weit von Frauen ihres Alters entfernt wie nie. US-Professor Scott Galloway spricht gar von einer »neuen Spezies asozialer und asexueller Männer«.
Verantwortlich für diese Entwicklungen sind der Crypto-Wahn, der falsche Vorstellungen von Wohlstand kreiert, die perversen Chatbots, die reale Beziehungen verdrängen, die »Manosphere« (misogyne Online-Communitys), die Lügen über uns, das schönere Geschlecht (!) verbreitet, und die sogenannte Male Loneliness Epidemic ̶ plump gesagt, Mann langweilt sich.
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Auch falsche Vorbilder spielen eine große Rolle in dieser emotionalen Verkümmerung, gepaart mit überzogenen Ansprüchen und gynophoben Ideen – da wären zum Beispiel der Urvater der peinlichen Alphas und Podcast-Bros Andrew Tate, der Holocaust-Leugner und Oberrassist Nicholas J. Fuentes, der schmierige Lustmolch Jeffrey Epstein mit seiner Insel und seiner Liste oder Sean »Widerling« Combs mit seinem Babyöl. Amerikanische Männer fallen in letzter Zeit vorwiegend negativ auf: die meisten Politiker, fast alle Milliardäre, definitiv alle Attentäter.
Wir befinden uns aber gerade mitten in der amerikanischen Zelebrations-Troika, Halloween, Thanksgiving, Weihnachten, und die ist geprägt von festlicher Außenbeleuchtung und Nächstenliebe.
Zu Halloween kriegt man Süßigkeiten und mit Glück vielleicht Marihuana-Gummibärchen ̶ davor warnen zumindest die Paranoia-Moms in den Facebook-Gruppen, die dazu aufrufen, die Süßigkeiten der Kinder zu inspizieren; jemand könnte ja bewusstseinserweiternde Substanzen in die Trick-or-Treat-Kiste geschmuggelt haben (Schön wär’s, entgegnen dann die Anti-Paranoia-Moms keck).
An Thanksgiving helfen viele in Suppenküchen aus, eine Tradition, die ich früher als scheinheilig und performativ empfand, nun, da vielen Bürgern die Sozialleistungen wegen des Government Shutdowns gestrichen wurden, aber für absolut notwendig halte.
Der amerikanische Spätherbst ist auch die Zeit der Hausprojekte. Jedes Jahr gucken wir den Weihnachtsfilm »National Lampoon’s Christmas Vacation« alias »Schöne Bescherung« – und je mehr Zeit vergeht, desto mehr identifiziert mein Mann sich mit dem Hauptcharakter Clark Griswold, der daheim alles selbst (kaputt)machen will. Nicht nur besteht mein Mann darauf, die Weihnachtsbeleuchtung selbst anzubringen, um zu sparen (und viel zu viel für die dafür notwendige Ausrüstung auszugeben). Einmal fiel er tatsächlich wie Clark durchs Dach. In einem epischen, Griswold’schen Manöver durchbrach er mit den Füßen die viel zu dünne Dachbodendecke, sodass seine Beine im Gästezimmer baumelten.
Ein anderes Mal flutete er den Flur mit einem Klempnerei-Malheur. Es ging bei ihm, wie bei Clark, allerdings auch mal gut aus: Er entkam einem Kettensägenmassaker gegen eine Eiche, die man hier als »Widow Maker« bezeichnet, unbeschadet. Mit einem anderen Baum, einer sogenannten Lagerströmie (in Texas beliebt und wie die texanische Hitze hartnäckig), hatte er größere Probleme. Nach dem Fällen war der gigantische Stumpf nicht wegzukriegen. Er bat einen Kollegen und Hobbygärtner um Rat. »Burn it«, sagte der entschieden. Gesagt, getan. Verbrannt wurden auch Pizzateige und Baguettes, als mein Mann sich in sein neues Hobby, das Backen, vortastete. Mittlerweile beherrscht er es mit Bravour.
Ich finde, dass mein Mann und viele andere Vertreter seines Geschlechts um uns herum, die der X- und Y-Generation angehören, hervorragende Typen sind. Das muss angesichts meiner unter- und überschwelligen Misandrie mal gesagt werden! Junge Männer sollten dagegen endlich lernen, dass nicht Frauen das Problem sind, sondern ihre Podcasts. Dass KI mit dem schöneren Geschlecht nicht mithalten kann und dass man männlicher wird, wenn man für die Leute, die man liebt, Bäume fällt, statt wie ein Kretin Kreatin für den Muskelaufbau einzunehmen.
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