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Die Welt zu Gast bei Spreewaldbauer Ricken

Ein Landwirt in Vetschau wollte Flüchtlingen helfen. Jetzt stehen die Zustände in den Unterkünften in der Kritik

Selbst in der Luxusausführung mit Seife und Wasser zum Händewaschen: Verglichen mit einer ordentlichen Spültoilette ist ein Dixiklo scheiße - drastisch ausgedrückt. Flüchtling zu sein in einem fremden Land, dort in sehr bescheidenen Verhältnissen zu leben, keine eigene Wohnung zu haben, ist furchtbar. Kein Wunder also, wenn die Flüchtlinge auf dem Hof von Spreewaldbauer Karl-Heinz Ricken in Vetschau nicht glücklich sind mit ihrer Situation. Aber trägt Ricken dafür die Verantwortung? Ist er gewissermaßen schuldig im Sinne der Anklage, weil die Zustände hier wirklich unzumutbar sind, wie der Verein Opferperspektive in einem Brandbrief an Landrat Siegurd Heinze (für CDU) geschrieben hat?

Einen Teil des umgebauten Garagenkomplexes, in dem während der Erntezeit die polnischen und rumänischen Saisonarbeiter schlafen, hat Bauer Ricken bis zum Frühjahr 2017 für wenig Geld als Notunterkunft an den Landkreis Oberspreewald-Lausitz vermietet. 160 Asylbewerber aus zehn Nationen leben gegenwärtig dort, und Bauer Ricken sorgt auch für deren Beköstigung.

Nun sind schwere Vorwürfe laut geworden. Das Essen sei schlecht, das Wasser in den Duschen nicht warm genug und so weiter. Flüchtlinge haben der Opferperspektive ihr Leid geklagt und diese hielt deren Darstellung für glaubwürdig. Auch den Politikern, die jetzt wieder einmal gekommen sind, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen, erzählen junge Männer, wo sie der Schuh drückt. Wer weder Deutsch noch Englisch spricht, lässt Amir aus Pakistan dolmetschen.

Auch Bauer Ricken leidet auf seine Weise. Der Brandbrief hat ihn in große Aufregung versetzt, weil er sich ungerecht behandelt fühlt und um seinen Ruf fürchtet. »Wir haben nichts zu verheimlichen. Wir haben nichts zu beschönigen«, versichert er den Politikern und führt sie bereitwillig umher. Rechtfertigen müsse er sich eigentlich nicht, betont er, da er alles für die Flüchtlinge tue, was in seiner Macht stehe, und mehr als das leiste, was ihm bezahlt werde. Es sei der geringste Satz in ganz Deutschland, den er für die Flüchtlinge erhalte, sagt der Landwirt.

Das könnte stimmen, bestätigt der Kreistagsabgeordnete Mario Dannenberg (LINKE). Viel Geld sei es jedenfalls nicht. Dannenberg ist der Meinung, dass es auf dem Spreewaldhof vor allem an Betreuung mangelt, wofür das Deutsche Rote Kreuz im Auftrag des Landkreises verantwortlich wäre. »Die Menschen brauchen Beschäftigung, Hoffnung und Halt«, ist Dannenberg überzeugt. Doch während die Syrer Deutschkurse, Asyl und Wohnungen bekommen, werden die meisten anderen Nationalitäten über kurz oder lang abgeschoben. Sie sehen keine Perspektive für sich.

»Flüchtlinge in anderen Camps können kochen, wir nicht«, bemängelt ein Afghane, der die Nase voll hat und nun in seine Heimat zurückkehren möchte. Aber Kochgelegenheiten einzurichten, diese Investition könne von Ricken nicht verlangt werden, das lohne sich nicht mehr, bedauert Dannenberg. Denn wenn der Vertrag im Frühjahr 2017 ausläuft, werde er bestimmt nicht verlängert. Als der Vertrag geschlossen wurde, gab es großen Bedarf. Mittlerweile erreichen viel weniger Flüchtlinge die Bundesrepublik. Die Notunterkunft wird in absehbarer Zeit nicht mehr gebraucht.

Um den Dingen auf den Grund zu gehen, sind die Landtagsabgeordneten Kathrin Dannenberg und Matthias Loehr erschienen, mit ihnen die Kreistagsabgeordneten Mario Dannenberg und Viola Weinert (alle LINKE), außerdem der Kreistagsabgeordnete Winfried Böhmer (Grüne).

Ricken zeigt den Speisesaal. Gerade werden zum Mittagessen Nudeln ausgeteilt. Je 800 Gramm liegen auf den randvollen Tellern. Der Bauer hat extra nachgewogen. Gaststätten servieren gewöhnlich nur 450 Gramm, sagt er. Doch bei ihm sollen alle satt werden - Flüchtlinge, Erntehelfer und Gäste der Kantine. Es gebe auch Nachschlag und Dessert, heute Pudding.

Die Toiletten sind blitzsauber und werden laut Plan regelmäßig gereinigt. Die alten Garagen, die als Unterkünfte dienen, sind mit Holz verkleidet und so umgebaut, dass ihre einstige Bestimmung kaum noch zu erkennen ist. Sie wirken beinahe wie Bungalows. Ricken schließt zwei im Moment unbewohnte Räume auf. Sie sind spartanisch eingerichtet mit je zwei Betten, Tisch, Spind und Kühlschrank. Es gibt nur je ein Fenster und eine Tür. Es scheint deshalb nicht viel Licht einzufallen. Doch nachdem die zuvor draußen von der Sonne geblendeten Augen an die Lichtverhältnisse hier drin gewöhnt sind, wirken die Zimmer doch nicht so dunkel wie gedacht.

Der Sportverein Blau-Weiß Vetschau, der von Ricken gesponsert wird, gestattet den Männern vom Spreewaldhof, auf dem Fußballplatz nebenan zu kicken. Tatsächlich spielen Erntehelfer und Flüchtlinge dort gemeinsam Fußball, berichtet Ricken mit strahlenden Augen. So funktioniert Völkerverständigung.

Leider sei die Zivilgesellschaft in Vetschau ansonsten schwach, bedauern die Politiker. Es fehle eine tatkräftige Willkommensinitiative. Derweil sprechen immer mehr Flüchtlinge die Besucher an. Das Essen sei heute sehr gut und die Toiletten sind sauber, bestätigt einer. Doch das sei »alles« erst heute früh verändert worden. Sonst sei alles komplett anders. Es gebe sonst auch keinen Pudding zum Nachtisch.

Die Politiker sind skeptisch. Sie waren auch schon unangekündigt hier und hatten nie den Eindruck, dass Ricken ihnen etwas vorspielen will und kann. Dass es bessere Asylheime gibt als dieses hier, ist ihnen klar. Aber es gibt auch schlechtere.

Die bewohnten Zimmer sehen anders aus als die zwei von Ricken aufgeschlossenen, schimpft ein Iraner und winkt zu einer Tür ein paar Schritte weiter. Er öffnet sie und weist in den Raum, in dem keine Betten stehen, sondern nur drei Matratzen auf dem Boden liegen. Zwei Personen seien hier einquartiert, erklärt der Iraner. Später stellen Ricken und eine Betreuerin vom Deutschen Roten Kreuz kopfschüttelnd fest, dort müsse niemand schlafen. Die Betten seien auf Wunsch der Muslime entfernt worden, damit sie einen Gebetsraum haben.

Was stimmt nun? Die Abgeordnete Kathrin Dannenberg hört genau zu, löst mit einem Lächeln und aufmunternden Scherzen die Verkrampfung und verspricht den Flüchtlingen, dass sie nächste Woche und nächsten Monat wiederkommen und darauf achten werde, dass alles in Ordnung sei und bleibe. Sie möchte auch nachhaken, damit einer der Männer endlich einen Termin beim Augenarzt bekommt. Denn dass Einheimische auf einen Termin ebenfalls monatelang warten müssen, wollen die Asylbewerber nicht glauben, obwohl das stimmt. Bei den Flüchtlingen kommt das Engagement von Kathrin Dannenberg gut an. Sie bedanken sich.

»Wir sind kein Fünf-Sterne-Hotel«, gesteht Ricken zu, erinnert aber an die Flugzeughangars in Berlin-Tempelhof und an Turnhallen und Zelte, in denen Flüchtlinge anderswo campieren müssen. Derartige Verhältnisse konnten in Oberspreewald-Lausitz abgewendet werden, da sich Ricken hilfsbereit von sich aus bei der Kreisverwaltung meldete.

Die Politiker wissen das und rechnen es dem Mann hoch an. Er hat sich damit wenig Freunde gemacht. Einwohner aus Vetschau und Umgebung, die seinen Saal für Familienfeiern gemietet hatten, sagten ab, weil ihnen die Anwesenheit der Flüchtlinge nicht passte. Ricken kennt die Ressentiments nur zu genau, weil er schon lange gegen Vorurteile zu kämpfen hat. Vor sieben Jahren hetzten Neonazis: »Kauft nicht bei Bauer Ricken!«, weil er Ausländer beschäftigt. Damals vermittelte ihm die Opferperspektive einen Rechtsanwalt, der mit einer Schadenersatzklage Erfolg hatte. Dafür ist Bauer Ricken der Opferperspektive bis heute dankbar.

Für Freitagabend war eine Demonstration am Bahnhof Vetschau geplant, bei der die Flüchtlinge ihre Verteilung auf andere Unterkünfte fordern wollten. »Ich lebe hier seit acht Monaten. Würden Sie nur einen Monat hier wohnen wollen?« fragt ein Afghane den Abgeordneten Loehr. Der versteht, was gemeint ist. Er würde das natürlich nicht wollen. Er möchte auch kein Flüchtling sein. Das wäre scheiße. Aber den Begriff verwendet Loehr nicht.

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