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Streit um Grünen »Besserwisser« Kretschmann

Baden-Württembergs Ministerpräsident will »Kampf für eine gute Ordnung der Dinge« / Landtagsabgeordneter: »Kniefall vorm Rechtspopulismus« / Ex-Parteimitglied Zion kritisiert linken Flügel

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Bei den Grünen geht die Debatte um den Kurs und den Charakter der Partei weiter - den Anstoß gaben erneut Äußerungen von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Kritiker in den eigenen Reihen werfen ihm nun »Kniefall vorm Rechtspopulismus« und »Moralisieren« vor.

Kretschmann hatte im Rahmen einer Debatte im Wochenblatt »Zeit« die Grünen indirekt mit für den Aufstieg der Rechtsaußen-Partei AfD verantwortlich gemacht und seiner Partei »Besserwissergestus« vorgeworfen. Man habe zwar eine »umfassende gesellschaftliche und politische Modernisierung« vorangetrieben, so der Politiker mit Blick auf Gleichstellung, ökologisches Wirtschaften und Energiewende. »Grüne Ideen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen«, so Kretschmann, aber es gebe auch »diejenigen, die diese Modernisierungen nicht wollen, die sich selbst in Frage gestellt fühlen und meinen, sie seien jeder Entwicklung in der modernen Welt ohnmächtig ausgeliefert.«.

Die Grünen sollten die errungenen Freiheiten verteidigen, so Kretschmann, sie müssten sich aber auch fragen: »Haben wir vielleicht auch etwas falsch gemacht? Wie verhält es sich mit dem Vorwurf, wir hätten es mit dem Glauben an die Erziehbarkeit des Menschen übertrieben?« Anstatt »Vorgaben für das gute Leben und die individuelle Lebensgestaltung zu machen, sollten wir uns auf den Kampf für eine gute Ordnung der Dinge konzentrieren«, so Kretschmann. Die »klassische Ehe« bezeichnete Kretschmann als »die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen – und das ist auch gut so«. Man müsse deutlich machen, »dass die neuen Freiheiten in der Lebensgestaltung ein Angebot und keine Vorgabe sind«.

Der Vizechef der grünen Landtagsfraktion von Schleswig-Holstein, Rasmus Andresen, kritisierte Kretschmann im Kurznachrichtendienst Twitter mit den Worten: »Gut, dass Winfried kaum Einfluss auf unser Bundesprogramm hat. Seine Aussagen sind Kniefall vorm Rechtspopulismus.« Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck reagierte im »Spiegel« mit den Worten, »bei Familien gibt es in Deutschland eine große Vielfalt. Und diese Vielfalt ist auch gut so«. Die Grüne Jugend twitterte, »was Menschen glücklich macht, entscheiden diese selbst, nicht du, lieber Winfried. Und das ist auch gut so!« Der Abgeordnete Sven-Christian Kindler sagte, »ob klassische oder homosexuelle Ehe oder nicht verheiratet: Es geht um Liebe! Hier sollte man nicht moralisieren.«

Der aus den Grünen inzwischen ausgetretene Parteilinke Robert Zion kritisierte derweil in der »Tageszeitung«, er habe ein Jahrzehnt »mit etlichen anderen Grünen versucht, Mehrheiten für eine progressive, emanzipatorische, sozialere und friedlichere Politik zu gewinnen. Inzwischen bin ich überzeugt davon, dass das unmöglich geworden ist«. Kretschmann sei dabei »die Personifizierung einer Entwicklung«, Zion sagte, mit dem jüngsten Wahlerfolg der Grünen in Baden-Württemberg sei »etwas ins Rutschen geraten, was sich nicht mehr aufhalten lässt« – die Partei habe den Weg »in den liberal-konservativen Mainstream der Republik« eingeschlagen. Mit ihm vollziehe sich »die Rückkehr der einst abtrünnigen Rebellen der Post-68er in den Schoß des liberalkonservativen deutschen Bürgertums«, Kretschmann selbst sei ein Repräsentant »jenes traditionellen provinziell-konservativen Südwest-Liberalismus transformiert, für den die Welt am eigenen Vorgarten endet«.

Kritik übte Zion auch am linken Flügel der Partei. Diese sei »völlig in der Defensive. Fixiert auf das Mitregieren, beschränkt er sich darauf, das Schlimmste verhindern zu wollen«. Das Führungspersonal des linken Flügels habe »nur noch eine Verhinderungsperspektive, aber keinen Veränderungsanspruch mehr«, so Zion. Der Politiker von 2008 bis 2011 Sprecher des grünen Kreisverbands in Gelsenkirchen und ein auch bundesweit prominenter Wortführer des linken Flügels. Von 2012 bis 2014 gehörte er dem Landesvorstands in NRW ab. Sein Austritt aus den Grünen war bereits vor einiger Zeit bekannt geworden. vk

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