Neuer Anlauf für ein neues Denken
Initiative klagt auf Zulassung des Bürgerbegehrens gegen den Ausverkauf der Potsdamer Stadtmitte
»Dieses hässliche Ding am Alten Markt, was ist das eigentlich«, fragt die Touristin aus Bayern. Potsdam gefällt ihr ausgezeichnet - bis auf die Relikte der DDR-Architektur. »Das ist die alte Fachhochschule. Die soll abgerissen werden«, erhält die Frau zur Antwort. »Na Gott sei dank. Und dieses fürchterliche Hochhaus, kommt das auch weg?«
Nein, das Hotel »Mercure« darf erst einmal bleiben. Die Stadtverwaltung stellt ihre Bemühungen ein, die Immobilie zu kaufen und abzureißen. Diesen Erfolg - und es ist aus Sicht vieler alteingesessener Einwohner wirklich ein Sieg - darf sich die Bürgerinitiative »Potsdamer Mitte neu denken« (PMND) gemeinsam mit der Linksfraktion gutschreiben. Zwar hat Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) das Bürgerbegehren gegen die bedenkenlose Beseitigung der DDR-Architektur von der Stadtverordnetenversammlung am 14. September für unzulässig erklären lassen. Die mehr als 14 772 Unterschriften zeigten aber dennoch Wirkung.
Nur dadurch kam Bewegung in die Sache und die oppositionelle Linksfraktion konnte Zugeständnisse erreichen. Da ist sich der Fraktionsvorsitzende Hans-Jürgen Scharfenberg sicher. Die LINKE verfolgte eine Doppelstrategie. Sie stimmte gegen das Abschmettern des Bürgerbegehrens, handelte aber nichtsdestotrotz Kompromisse aus. Dies für den möglichen Fall, dass die Justiz die Ansicht des Oberbürgermeisters teilt. Dann stehen die Unterstützer des Bürgerbegehrens trotzdem nicht mit leeren Händen da: Das Hotel »Mercure« wird in Ruhe gelassen, solange seine Eigentümer am Status quo nichts ändern möchten, und die die Plattenbauten am Staudenhof mit den vergleichsweise günstigen Quartieren dürfen nun nicht mehr einfach so abgerissen werden. »Es muss nachgewiesen werden, dass ein Neubau wirtschaftlich und notwendig ist - und dann muss die gleiche Anzahl von Wohnungen entstehen«, erläutert Scharfenberg.
»Es ist wichtig gewesen, dass wir einen Konsens finden«, findet Oberbürgermeister Jakobs. »Das ist gelungen«, meint er. Nicht durchgekommen ist die LINKE allerdings mit ihrem Vorstoß, doch bitte zu prüfen, ob die Fachhochschule nicht wenigstens teilweise erhalten bleiben könnte. Der Weg, das Gebäude dennoch zu retten, ist deswegen noch nicht abgeschnitten. Die Bürgerinitiative PMND hat nach eigenen Angaben vom Mittwoch Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam erhoben. Sie beantragt, ihr Bürgerbegehren »Kein Ausverkauf der Potsdamer Mitte« für zulässig zu erklären. Es verstoße keineswegs gegen die brandenburgische Kommunalverfassung, weil es im Kern gar nicht um einzelne Gebäude gehe, sondern darum, kommunales Grundstückseigentum in der Stadtmitte zu bewahren und einen verantwortungsbewussten Umgang mit öffentlichen Mitteln zu beachten, indem Fördergelder vorrangig für Modernisierung und Sanierung eingesetzt werden.
Für die Initiative liegt die Vermutung nahe, die Stadtverordnetenversammlung habe sich bei der Beurteilung des Bürgerbegehrens »eher von politischen als von rechtlichen Erwägungen« leiten lassen. Dabei hätte sie allein die rechtliche Zulässigkeit zu prüfen gehabt.
Linksfraktionschef Scharfenberg begrüßt eine gerichtliche Überprüfung. Auch er hat den Eindruck, dass »sehr zielorientiert« vorgegangen wurde und die angebliche Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens »ein gewünschtes Ziel der rechtlichen Betrachtung« gewesen sei.
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