Seit die Preise für Öl und Gas explodieren, erlebt die Braunkohle einen Aufschwung. Neue Kraftwerke werden gebaut, neue Lager erkundet - selbst unter bestem Bördeboden. Bauern und Klimaschützer sind empört.
Im »Kohlepott« kräuselt sich das Wasser. Enten schaukeln auf den Wellen, am Ufer steht Schilf. Wenn der Bergbau Geschichte ist, hält die Idylle Einzug. Das Loch am Dorf-rand von Westeregeln, in dem einst in bis zu 35 Meter Tiefe nach Braunkohle gegraben wurde, hat sich in einen Badeteich verwandelt.
Das Loch, vor dem vielen Bürgern von Westeregeln und benachbarten Orten graust, hätte nicht die Dimension eines Teichs, sondern die eines riesigen Sees. 76 Quadratkilometer groß ist die »Egelner Südmulde« westlich von Magdeburg. Darunter liegt Braunkohle - mit einer Milliarde Tonnen eines der größten zusammenhängenden Vorkommen Deutschlands. Um sie zu fördern, müsste eine enorme Grube ausgehoben werden: Die Flöze liegen in 330 Metern Tiefe. Den Kohleförderer Mibrag schreckt das nicht: Ab Sommer 2007 will der Konzern die Lagerstätten mit Probebohrungen erkunden. 2010 soll entschieden werden, ob ein Tagebau aufgefahren wird.
Landwirt Christian Meyer weiß, dass unter seinem Hof in Westeregeln braunes Gold lagert: Der »Kohlepott« liegt gleich hinter dem Haus, an dem zudem ein Weg namens »Grube Einheit« vorbeiführt. An einen Abbau hat er aber »nie geglaubt«. Zum einen waren entsprechende Pläne noch in den 80er Jahren wegen des Salzgehalts der Kohle verworfen worden; zum anderen liegt obenauf ebenfalls braunes Gold: Die Äcker gehören zu den fruchtbarsten hier zu Lande.
Seit die Mibrag zunächst Bürgermeister und dann Landwirte der Gegend von ihren Bohrplänen unterrichtete, ist die Aufregung groß. Meyer, der in einer Pächtergemeinschaft 1600 Hektar bestellt, sieht sich in seiner Existenz bedroht: Der Tagebau würde drei Viertel der Äcker verschlingen; weil zudem das Grundwasser großflächig abgesenkt werden müsste, würden die anderen Felder trocken fallen. Ob sich der fruchtbare Boden je wieder regenerieren ließe, sagt der studierte Landwirt, sei mehr als zweifelhaft.
In der Börde, wo sich unmittelbar nach Bekanntwerden der Erkundungspläne eine Bürgerinitiative gebildet hat, streiten nicht nur Landwirte um ihre Existenz und Anwohner um den Wert ihrer Häuser. Egeln ist Musterstandort der Windenergie-Branche; ein Magdeburger Hersteller betreibt hier Referenzanlagen. Auch die Landwirte erzeugen regenerative Energien: Meyer hat mit der Errichtung von drei Biogasanlagen begonnen. Bedroht würde das nun ausgerechnet durch einen Tagebau.
Dass die Mibrag auch einst abgeschriebene Lagerstätten wie in der Egelner Südmulde wieder ins Visier nimmt, ist nicht nur Fortschritten in der Kraftwerkstechnologie geschuldet, sondern vor allem Indiz einer Renaissance der Braunkohle. Der heimische Brennstoff deckt derzeit ein Viertel des deutschen Energiebedarfs. Angesichts explodierender Preise für Öl und Gas schwärmt die Mibrag von einem »unverzichtbaren Energieträger, der kontinuierlich und preisstabil gewonnen werden kann«.
Entsprechend ambitionierte Pläne hegen die Unternehmen: Die Mibrag will gemeinsam mit EnBW ein neues Kraftwerk in Profen bauen. Weil die beiden bisherigen Gruben Vereinigtes Schleenhain und Profen etwa 2040 erschöpft sind, werden zudem neue Lagerstätten erkundet, so bei Lützen, im mecklenburgischen Lübtheen und eben in Egeln. In der Lausitz will Vattenfall die Tagebaue Welzow-Süd und Nochten erweitern. Das Kraftwerk Boxberg erhält einen vierten Block.
Wie diese Vorhaben mit Plänen der Bundesregierung in Übereinstimmung zu bringen sind, den Ausstoß von Kohlendioxid stark zu reduzieren, ist nicht zu erkennen. Sachsens Grüne rechnen vor, dass allein im Freistaat derzeit 52 Millionen Tonnen des Klimagases erzeugt werden, mehr als die Hälfte davon in den Kraftwerken Lippendorf und Boxberg. Nach dessen Erweiterung kämen noch einmal fünf Millionen Tonnen dazu. Sachsen wäre dann drittgrößter CO2-Emittent der Welt - gleich hinter den USA und Kanada.
Auch in der Egelner Südmulde werden klimapolitische Debatten geführt. Landwirt Meyer verlangt, Konzepte für die Ersetzung der Braunkohle zu entwickeln - freilich »ohne stattdessen Atomstrom im Ausland zu kaufen«. Gleichzeitig verlangt er vom Land, zwischen Bergbau und Landwirtschaft abzuwägen: Sachsen-Anhalt »muss sich entscheiden, ob es Agrarland bleiben will«. Der Landesentwicklungsplan weist die Südmulde als Landwirtschaftsregion aus.
Obwohl die Entscheidung über einen Abbau der Kohle noch in weiter Ferne steht, will die Bürgerinitiative für politischen Druck sorgen. Über 1000 Unterschriften seien bereits gesammelt, sagt Sprecher Michael Stöhr. Für Januar ist ein Aktionstag geplant. Zudem wollen Vertreter der Initiative demnächst nach Garzweiler fahren. Dort gibt einen ähnlich tiefen Kohlenpott - und eine äußerst widerborstige Bürgerinitiative.
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