»Nur ein toter Bulle ist ein guter Bulle«

Frankreichs Polizisten traten in den Bummelstreik

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Losung, die am Mittwoch an der Wand eines Nebengebäudes der Pariser Sorbonne-Universität entdeckt wurde, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: »Nur ein toter Bulle ist ein guter Bulle.« Innenminister Bernard Cazeneuve erstattete sofort Anzeige und kündigte eine strenge Bestrafung der Täter an. Die Polizeigewerkschaften sehen darin ein neues Zeichen für die extrem gewachsene Polizeifeindlichkeit unter jugendlichen Franzosen, von denen manche selbst nicht vor Mord und Totschlag zurückschrecken.

Zum Zeichen ihres Protests fand am Dienstag eine landesweite Aktion »Dienst nach Vorschrift« und Demonstrationen von Polizisten in Zivil in Paris, Lyon, Lille, Marseille und Toulouse statt. Die Polizisten fordern aber nicht nur mehr Leute und Technik, sondern auch ein härteres Durchgreifen der Justiz. Unter den kriminellen Banden, die in vielen Sozialwohnsiedlungen den Ton angeben, wachse das Gefühl der Straflosigkeit. Nach Überzeugung der Polizeigewerkschafter meiden ihre Vorgesetzten die Konfrontation, um nicht neue Unruhen zu riskieren, wie sie im Herbst 2005 wochenlang Frankreichs Vorstädte erfasst hatten.

Anlass der Protestaktion war ein Vorfall vom Wochenende. Vier Insassen von zwei Polizeiautos waren an einer Straßenkreuzung nahe der als kriminelle Hochburg bekannten Sozialwohnsiedlung La Grande Borne bei Paris durch eine Gruppe Vermummter überfallen worden. Sie schlugen die Scheiben ein, warfen Brandsätze ins Wageninnere und hinderten die Polizisten minutenlang daran, aus den brennenden Autos zu flüchten. Die Polizisten erlitten unterschiedlich schwere Brandverletzungen, ein 28-Jähriger schwebt noch in Lebensgefahr. Die Streifenwagen waren gerufen worden, um eine Videokamera vor wiederholten Zerstörungsversuchen zu schützen.

Für die Polizei im ganzen Land ist das Maß voll. Sie sind seit Ausrufung des Ausnahmezustandes Anfang 2015, der noch bis Ende Januar 2017 andauert, über alle Maßen gefordert und erschöpft. Von der Regierung fühlen sie sich alleingelassen, weil die immer wieder geforderte personelle und materielle Verstärkung ausbleibt.

Demgegenüber werden die Kriminellen immer gewalttätiger. Im vergangenen Jahr wurden 5736 Polizisten im Dienst verletzt, im ersten Halbjahr 2016 waren es schon 3267 und seit Anfang 2015 wurden sechs Polizisten getötet. Der jüngste Tatort La Grande Borne war im Januar 2015 in die Schlagzeilen geraten, weil der Terrorist Amédy Coulibaly, der eine Polizistin und vier Kunden eines jüdischen Supermarkts in Paris erschossen hat, hier lebte. Regierungschef Manuel Valls besuchte La Grande Borne und beklagte die »territoriale Apartheid« vieler sozial benachteiligter Viertel. Doch geändert hat sich dadurch vor Ort nichts. Allein im Departement Essonne, zu dem La Grande Borne gehört, fehlen mindestens 300 Polizisten, rechnen die Gewerkschaften vor.

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