Wegen Peggy: Staatsanwaltschaft prüft ungeklärten Mord

DNA-Spuren von NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt an Fundort entdeckt / Anwalt verweist auf Sexualstraftaten an Kindern im NSU-Umfeld

  • Lesedauer: 5 Min.

Update 13.15 Uhr: Staatsanwaltschaft prüft nach DNA-Fund ungeklärten Mord an Jungen
Nach dem Fund von DNA des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt am Fundort der getöteten Schülerin Peggy will die Staatsanwaltschaft Gera mindestens einen weiteren ungeklärten Todesfall eines Kindes noch einmal prüfen. Den Tod eines neunjähriger Jungen 1993 in Jena werde sich die Behörde »mit Sicherheit« noch einmal anschauen, bestätigte der stellvertretende Behördenleiter, Steffen Flieger, am Freitag in Gera der Deutschen Presse-Agentur. Böhnhardt war von einem Schulfreund des Mordes an dem Kind bezichtigt worden. Bewiesen werden konnte das nie. Der Fall ist bis heute ungelöst.

Der Neunjährige war zunächst verschwunden und dann einige Tage später tot am Ufer der Saale in einem Gebüsch gefunden worden. Nach Angaben von Flieger gibt es in diesem Fall allerdings keine unausgewerteten DNA-Spuren mehr. Nach den bislang geführten Ermittlungen komme Böhnhardt bei diesem Mord nicht als Täter in Betracht, sagte er.

Der Fall Peggy - Irrungen und Verwirrungen

Am 7. Mai 2001 verschwand die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule nach Hause spurlos. Im August 2001 wird Ulvi K. festgenommen. Er gesteht, sich an Peggy und anderen Kindern vergangen zu haben.

Februar 2003: Die Staatsanwaltschaft Hof erhebt Anklage wegen Mordes gegen Ulvi K. Im Oktober beginnt der Prozess vor dem Landgericht Hof. Das erste Verfahren platzt nach wenigen Verhandlungstagen. Ab November wird wieder verhandelt. Es ist ein Indizienprozess.

April 2004: Nach 26 Verhandlungstagen wird Ulvi K. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht Hof glaubt, er habe Peggy missbraucht und sie dann umgebracht. Die Richter stützen sich auf das Geständnis, das der Angeklagte bei der Polizei gemacht haben sollt. Doch sein Anwalt war nicht dabei und es gibt nicht einmal eine Tonaufnahme. Ulvi K. hat das Geständnis dann vor Gericht widerrufen.

September 2010: Ein Belastungszeuge widerruft gleichfalls seine Aussage. Der Mitpatient im Bezirkskrankenhaus Bayreuth hatte behauptet, K. habe ihm den Mord gestanden. Der Zeuge sagte nun, die Polizei habe ihn zu der Aussage gedrängt und ihm dafür die Entlassung versprochen.

Juli 2012: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wieder.

April 2013: Die Wiederaufnahme des Falls wird beantragt. Rechtsanwalt Michael Euler stützt sich unter anderem auf Entlastungszeugen, die Peggy am Nachmittag ihres Verschwindens noch gesehen haben wollen, aber nie vor Gericht gehört wurden. Derweil graben die Ermittler den Hinterhof eines Hauses am Marktplatz von Lichtenberg um. Weitere Verdächtige werden ausgemacht. Einer sitzt in Sachsen-Anhalt in Haft. Der damals 17-Jährige war öfter bei seinem Halbbruder in Lichtenberg, dem Nachbar von Peggy. Auch der Halbbruder gilt als verdächtig.

Dezember 2013: Das Landgericht Bayreuth nimmt den Fall wieder auf. Am 10. April 2014 beginnt der neue Prozess. Inzwischen wurde der zuständige Staatsanwalt abgelöst. Der Sachverständige korrigiert sein Gutachten teilweise. Das Gericht stellt fest, dass »kein einziger Sachbeweis für das damalige Geständnis von Ulvi K. gefunden worden ist«. Die Konsequenz: Freispruch. Ulvi K. wird aus der Psychiatrie entlassen.

18. Februar 2015: Ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wird weitergeführt.

2. Juli 2016: Ein Pilzsammler findet im thüringischen Landkreis Saale-Orla Skelettreste. Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass die Knochen »höchstwahrscheinlich« von Peggy stammen. Es fehlen aber Kleidungsstücke des Mädchens sowie der Schulranzen.

13. Oktober 2016: Am Fundort des Skeletts werden an den Resten einer Decke DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden. Das teilen das Polizeipräsidium Oberfranken und die Staatsanwaltschaft Bayreuth mit. Doch noch gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, wie die Spuren an den Auffindeort gelangt sein können. nd/hei

Update 11.00 Uhr: Thüringens Ministerpräsident lässt Mord neu prüfen
Wegen der Entwicklung im Fall Peggy lässt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die Akten eines anderen Kindsmordes komplett neu prüfen. »Es gab einen Tod eines neunjährigen Kindes in den neunziger Jahren in Jena und da war Herr Böhnhardt und sein Name schon einmal im Visier und das müssen wir alles viel, viel gründlicher betrachten«, sagte der Linken-Politiker am Freitag in Berlin. Der Jenaer Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

Spuren von NSU-Terrorist an Fundort

Am Fundort des Skeletts der 2001 verschwundenen und getöteten Peggy haben Ermittler zahlreiche Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt entdeckt. Ob es einen direkten Zusammenhang zu dem damals neunjährigen Mädchen gibt, war zunächst unklar. Das teilten das Polizeipräsidium Oberfranken und die Staatsanwaltschaft Bayreuth am Donnerstagabend mit.

Bei der Untersuchung sei Spuren in einem Waldgebiet an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen sei festgestellt worden, dass die DNA »Uwe Böhnhardt zuzuordnen ist«, teilten die Behörden weiter mit. »In welchem Zusammenhang diese DNA-Spur gesetzt wurde, wo sie entstanden ist und ob sie in Verbindung mit dem Tod von Peggy K. steht, bedarf weiterer umfassender Ermittlungen in alle Richtungen, die derzeit geführt werden und ganz am Anfang stehen.«

Die damals neunjährige Peggy war am 7. Mai 2001 im nordbayerischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule verschwunden. Am 2. Juli dieses Jahres hatte ein Pilzsammler Teile ihres Skeletts in einem Waldstück im Saale-Orla-Kreis in Thüringen gefunden - nur rund 15 Kilometer vom Heimatort des Mädchens entfernt. Mehrfach hatte die Polizei anschließend den Fundort abgesucht, weil das Skelett nach Angaben der Ermittler nicht vollständig gewesen war.

Der Rechtsextremist Böhnhardt gehörte dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU). Zusammen mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe soll er laut Bundesanwaltschaft jahrelang unerkannt gemordet haben. Die Gruppe erschoss zwischen 2000 und 2007 nach Erkenntnissen der Ermittler neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin. Mundlos und Böhnhardt töteten sich im November 2011 nach einem Banküberfall, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe stellte sich der Polizei. Seit Mai 2013 muss sie sich vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten.

Mehrere Mitglieder des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses reagierten entsetzt auf die Nachricht des spektakulären Funds. Sie verwiesen auch darauf, dass im ausgebrannten NSU-Wohnmobil Kindersachen gefunden worden seien, deren Herkunft bis heute unklar sei.

Die Linke-Obfrau des Ausschusses, Katharina König, forderte am Donnerstag, nun müsse es einen Abgleich der DNA von Böhnhardt sowie der DNA der weiteren mutmaßlichen NSU-Terroristen Mundlos und Zschäpe mit allen ungeklärten Fällen geben, bei denen Kinder und Menschen mit Migrationshintergrund zu Tode gekommen seien. Zudem sei aus ihrer Sicht derzeit völlig offen, ob der Münchner NSU-Prozess gegen Zschäpe so weitergehen könne wie bisher.

Der Münchner Rechtsanwalt Yavuz Narin sagte der Deutschen Presse-Agentur, im Umfeld des NSU seien »mehrere Personen mit Sexualstraftaten an Kindern in Erscheinung getreten«. So habe einer der mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffer Böhnhardt des Mordes an einem neun Jahre alten Jungen in Jena bezichtigt. In den Prozessakten fänden sich weitere Namen von Männern, die zum Freundeskreis Böhnhardts zählten und zu denen sich Hinweise auf Kindesmissbrauch in den Akten fänden. Narin verwies außerdem auf den früheren Anführer des »Thüringer Heimatschutzes«, Tino Brandt, der wegen Missbrauchs von Jungen im Gefängnis sitzt. Narin vertritt im NSU-Prozess die Familie eines in München ermordeten Geschäftsmannes.

Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler hat unterdessen einen neuen Beweisantrag im NSU-Prozess angekündigt. Dabei sollen Einzelheiten über Kinderpornografie-Dateien auf einem Computer des NSU untersucht werden, sagte Daimagüler, ein Vertreter der Nebenklage. Im Brandschutt der Fluchtwohnung des NSU-Trios in Zwickau war ein Datenträger mit kinderpornografischem Material gefunden worden. Man müsse herausfinden, »wer Kenntnis hatte und wer es draufgeladen hat – Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe oder alle drei«.

Neben dem Generalbundesanwalt sind nach Angaben der Bayreuther Ermittler auch das Bundeskriminalamt, das bayerische Landeskriminalamt und die thüringische Polizei über die neuen Erkenntnisse unterrichtet worden und in die Ermittlungen eingebunden. »Weitere Informationen können derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht erteilt werden«, hieß es weiter. dpa/nd

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