Zschäpe spricht viel, aber sagt wenig

Die NSU-Terroristin belastet Susann Eminger nicht

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Teilnehmer einer Kundgebung stehen vor dem Oberlandesgericht und erklären: »Das Problem heißt immer noch Rassismus«.
Teilnehmer einer Kundgebung stehen vor dem Oberlandesgericht und erklären: »Das Problem heißt immer noch Rassismus«.

Beate Zschäpe hat nur ein Ziel: Die zu lebenslanger Haft verurteilte NSU-Terroristin will nicht bis zu ihrem Lebensende hinter Gittern bleiben. Um die Strafvollstreckungskammer milde zu stimmen, die im kommenden Jahr über die Perspektive der mittlerweile 50-Jährigen zu entscheiden hat, ließ sich Zschäpe kürzlich nicht nur ins Neonazi-Aussteigerprogramm »Exit« aufnehmen, unter dem lauten Protest von Opferangehörigen. Sie trat jetzt auch als Zeugin im Prozess gegen ihre einstmals beste Freundin Susann Eminger auf, die sich vor dem Dresdner Oberlandesgericht wegen Unterstützung der rechtsterroristischen Mordbande verantworten muss.

Zschäpe will Läuterung, Offenheit, Aussagebereitschaft demonstrieren. Doch das Bild, das ihr zweitägiger Auftritt als Zeugin hinterlässt, ist ein ganz anderes. Sie redet viel, aber bleibt oft vage. Sie laviert und scheut sich, die menschenverachtenden Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beim Namen zu nennen. »Unerklärlich« und durch nichts zu entschuldigen seien »diese Sachen, die da passiert sind«, sagt sie: »Wir waren kleine Würstchen.«

Der NSU hat, bis er sich 2011 mit dem Suizid von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt selbst enttarnte, neun Menschen mit Migrationsgeschichte und eine Polizistin ermordet, rassistisch motivierte Sprengstoffanschläge begangen und Banken überfallen. Susann Eminger half dem Kerntrio, ein Leben unter falschen Namen in Zwickau zu führen.

»Sie war eine sehr lustige Person, zuvorkommend, empathisch«, sagt Zschäpe, als sie gebeten wird, die Angeklagte zu charakterisieren. »Eine gute Mutter für ihre Kinder.« Und politisch? »Es ist schwer vorstellbar«, antwortet Zschäpe, »aber wir hatten nicht so die Gespräche über Politik.« Sondern eher über »Frauensachen«. Die Kinder vor allem. Anders als noch im Münchner NSU-Prozess, als sie selbst auf der Anklagebank saß, versucht Zschäpe zwar nicht mehr, sich als emotional abhängiges Heimchen am Herd zu inszenieren. Sie habe den Schuldspruch »vollumfänglich angenommen«, sagt sie. Sie habe eingesehen, dass sie eine Mitschuld an dem jahrelangen Morden trage, auch wenn sie selbst niemanden getötet habe. »Ich war nie dafür. Aber ich war auch nicht genug dagegen.«

Doch die Antworten, auf die die Angehörigen der Ermordeten seit Jahren warten, gibt sie immer noch nicht. Zschäpe offenbart keine weiteren Mitglieder des NSU und keine Helfer*innen in den Tatortstädten. Und sie erklärt nicht, wie die Opfer ausgewählt wurden – außer, dass es »Willkür« und »Hass auf türkische Menschen« gewesen sei. Statt über die neonazistische Ideologie, die sie mit den beiden Uwes ebenso verband wie mit ihren Unterstützer*innen, spricht sie lieber über das Private, das »Familiäre«, wie sie es nennt: »Ich war, glaube ich, der Eckpfeiler, der das Zusammenleben möglich gemacht hat.« Und ganz in diesem Sinne nimmt sie auch Susann Eminger in Schutz.

Schon seit den ersten NSU-Ermittlungen ist bekannt, dass Zschäpe bei etlichen Gelegenheiten die Ausweise der Angeklagten genutzt hat. Fünfmal ging sie mit deren Krankenkassenkarte zum Zahnarzt, sie besaß Bahncards auf den Namen der Freundin (aber mit ihrem eigenen Foto), buchte Urlaube unter der geborgten Identität und gab sich einmal sogar bei der Polizei als Susann Eminger aus. Aus alledem macht Zschäpe als Zeugin keinen Hehl. Und sie gibt auch freimütig zu, dass die Angeklagte dabei war, als sie und Böhnhardt im Oktober 2011 das Wohnmobil für den letzten Raubüberfall abholten.

Doch entscheidend ist, wie viel Susann Eminger währenddessen von den Mordtaten des NSU wusste. Alles, glaubt die Bundesanwaltschaft. Nichts, sagt Zschäpe. Nur von den Banküberfällen hätten sie und ihr Ehemann André, der bereits im Münchner Prozess mitangeklagt war und mit milden zweieinhalb Jahren Gefängnis davonkam, gewusst. Die Mordserie habe sie André E. erst gebeichtet, als sie nach dem Suizid von Mundlos und Böhnhardt die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße angezündet hatte und geflüchtet war, mit seiner Hilfe. Der Neonazi, der sich NS-Parolen und antisemitische Vernichtungsdrohungen auf den Leib hatte tätowieren lassen, habe dann »fast geheult«.

Selbstbewusst, bestimmend, oftmals geradezu entspannt wirkt Zschäpe im Dresdner Hochsicherheitsgerichtssaal. Mit fester Stimme spricht sie, freundlich zumeist, doch wenn ihr Fragen nicht passen, kann die Rechtsterroristin auch ungehalten werden. »Ich habe das Gefühl, ich sitze hier auf der Anklagebank«, raunzt sie die Senatsvorsitzende Simone Herberger irgendwann an. »Ich fühle mich ein bisschen unwohl.« Es ist offensichtlich: Hier will jemand das Heft unbedingt in der Hand behalten.

Gamze Kubaşık, Tochter des 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubaşık, sitzt im Publikum und erträgt das alles irgendwann nicht länger. Sie springt auf und schreit: »Dann sag die Wahrheit! Du bist verantwortlich, dass mein Vater nicht mehr lebt! Du hast mein Leben zerstört! Wer hat euch unterstützt?« Justizbedienstete führen sie aus dem Saal, es kommt zu Tumulten. Beate Zschäpe redet nach einer Verhandlungspause weiter, als wäre nichts geschehen.

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