Dramatische Welten

Literarische Illustrationen von Josef Hegenbarth und Max Lingner

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

In Zusammenarbeit mit der Max-Lingner-Stiftung zeigt die Hegenbarth Sammlung Berlin in ihren Räumen in der Nürnberger Straße Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen und Lithografien von Josef Hegenbarth zum »Nibelungenlied« , zu Goethes »Faust I«, zu dessen Ballade »Erlkönig« und Tierepos »Reineke Fuchs«, zu Schillers »Lied von der Glocke«, zu Grimms Märchen, zu Werken von Kleist, Hauff, Flaubert, Oscar Wilde und Gogol sowie Feder- und Pinselzeichnungen von Max Lingner zu Alexandre Dumas’ Historienroman »Königin Margot« und »Der Graf von Monte Christo«, Victor Hugos letztem Roman »Dreiundneunzig«, Charles de Costers belgischem Nationalepos »Tyll Ulenspiegel« und Eugène Pottiers »Internationale«. Hier werden zwei bedeutende experimentierfreudige Buchkünstler präsentiert, die sich keineswegs nur eines textbegleitenden Illustrationsstils bedienen, sondern in der Auslegung des jeweiligen literarischen Stoffes markant ihre eigene Subjektivität durchsetzen.

Lingner hat »Die Königin Margot« bereits 1937 / 38 im Feuilleton der Zeitung »L’Humanité«, für die er als Pressezeichner tätig war, illustriert. Er konnte zwar, wie er in seiner Autobiografie schreibt, »frei walten und schalten«, hatte aber dennoch einen konkreten Bezug zu den jeweils abgedruckten Textpassagen herzustellen, ohne dabei jedem Detail folgen zu müssen. So breitete er eine Fülle von Porträtaufnahmen, ereignisreichen Einzelszenen wie kleinen historischen Panoramen über die höfische Pariser Welt aus. Seine tägliche Illustration avanciert gleichsam zur Parallelerzählung neben Dumas’ Text. Durch ihre große Eigenständigkeit als »Erzählung in sich« und ihren markanten Zeichenstil fielen Lingners Motive auch auf einer großen Zeitungsseite dem Leser sofort ins Auge. Er setzt ungewöhnliche Perspektiven ein. So kann man in der »Theaterszene« sowohl das Spiel der Schauspieler auf der Bühne als auch die Reaktionen des Publikums beobachten.

1949 nach Berlin zurückgekehrt, greift Lingner in seiner Buchillustration nicht nur auf Motive aus der Frankreichzeit zurück, sondern erfindet Figuren oder Szenerien völlig neu. Dabei geht es ihm immer um das Zusammenspiel von Zeitkolorit, Situationsdynamik und stilistischer Komposition. In der Pinsel- und Federzeichnung, die er nun fast ausschließlich anwandte, vollbrachte er seine größten Leistungen.

Eine Mischung von Pinselstrich und Federzeichnung finden wir auch beim frühen Josef Hegenbarth, während seine ein- und mehrfarbigen Illustrationen nach 1945 hauptsächlich von der klaren schwarzen Linie leben. Die Physiognomie seiner Figuren wird in ausdrucksstarker Konturlinie eingefangen, Pinselschwünge und Tupfen ersetzen die Schatten in der Binnenzeichnung.

Hegenbarth übersteigert die erzählten Vorgänge durch Einfühlung zu eigenen Dramen - durch Gesten, Gebärden, turbulente Szenen. Er liebt, wie er selbst sagte, »groteske Geschichten, witzige Tollheiten, welche die Phantasie stark anregen«. Nicht die Landschaft, das Milieu, das historische Detail, sondern die dramatisch bewegten Figuren stehen im Fokus der Illustrationen. Sie bilden ein eigenes Welttheater im Kleinen. Die abkürzende Zeichnung, die ungebrochene Farbe, die Kontraste in Hell und Dunkel, der überhitzte Rhythmus und die leidenschaftliche Dynamik, die Disproportionierung der Figuren und die Verschiebung der natürlichen Größen- und Raumrelationen sind jetzt für ihn charakteristisch.

Hegenbarths Zeichnungen zum »Teufel und seiner Großmutter« (1940 / 42, 1960), die mit dem Grimmschen Text jetzt in einer bildkünstlerisch Maßstäbe setzenden Ausgabe herausgebracht wurde, fügen sich in ihrer numerischen Zahlenfolge zu einer Zusammenschau von Nah- und Totalaufnahmen. Bild und Text gehen ineinander über, die Szenen erscheinen in Groß- und Kleinformat, sich dabei mitunter wiederholend, sie werden stufenförmig, Zeile für Zeile oder seitenübergreifend von links nach rechts erzählt. Die vom Künstler übersteigerte, zugespitzte Handlung, der physiognomische Ausdruck der Figuren dominieren. Die Individualität, um die es ihm bei den Figuren in den »Sieben Schwaben« und der »Goldenen Gans« noch gegangen war, hat sich hier zum Typus gewandelt und das Groteske Einzug ins Märchen gehalten.

Bis 17.12., Hegenbarth Sammlung Berlin, Nürnberger Str. 49, Charlottenburg, Mo - Sa 12-18 Uhr. Zur Ausstellung erschienen: Brüder Grimm / Josef Hegenbarth: Der Teufel und seine Großmutter. Hrsg. von Jutta und Christopher Breu. Verlag der Hegenbarth Sammlung Berlin, 10 €.

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