Predictive Policing

Smarte Worte 14: Lassen sich Straftaten vorhersagen und verhindern? Ja, glaubt die Polizei - doch das ist keinesfalls unproblematisch

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Mit dem Begriff Predictive Policing (deutsch: »vorhersagende Polizeiarbeit«) ist allgemein ein Vorgehen in der Kriminalitätsbekämpfung gemeint, das auf zukünftiges Verhalten von Menschen schließt, um so präventiv kriminelle Taten zu unterbinden oder einzudämmen. Spezieller spricht man heute von Predictive Policing, wenn mittels Software und großen Datenmengen (Big Data) mögliche Tatorte und -zeiträume vorhergesagt werden. Dabei deutet sich eine Entwicklung an, dass zukünftig auch Tatverdächtige vor ihrer Tat ermittelt werden.

In Deutschland gibt es seit 2013 einige Modellversuche vor allem mit der vom »Institut für musterbasierte Prognosetechnik« entwickelten Software »Precobs«. In anderen Ländern, insbesondere den USA, werden vergleichbare Programme bereits in der Praxis umfangreich eingesetzt. Einige Systeme suchen dabei bereits gezielt nach Menschen und Gruppen, die aus Sicht der Software in nächster Zeit z.B. an einem Gewaltverbrechen beteiligt sein könnten.

In herkömmlicher Polizeiarbeit werden Erfahrungen mit Kriminalität dazu genutzt, zeitliche und räumliche Schwerpunkte krimineller Aktivitäten zu identifizieren. Hierzu werden bereits seit langem statistische Methoden eingesetzt. Es entstehen so Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Auftreten bestimmter Taten in örtlichen und zeitlichen Räumen. Die Grundlage bilden kriminologische und soziologische Modell-Überlegungen zu Mustern im Verhalten von Kriminellen. Diese sind aber i.d.R. nur bedingt aussagekräftig und lassen sich meist nur auf bestimmte Deliktfelder anwenden.

Predictive Policing i.e.S. erweitert diese Analysemethoden durch Digitalisierung. Größere Datenmengen und komplexere Algorithmen ermöglichen der Software, eine wachsende Präzision in der Erkennung von Mustern und der Vorhersage der nächsten Entwicklungen. Neben den üblichen kriminologischen Daten können dabei auch fachfremde Daten, z.B. Bevölkerungsstatistiken, Daten der Wirtschafts- und Sozialgeographie sowie ähnliche bereits erhobene Daten herangezogen werden. Überlegungen zielen darauf ab, diese Datenbasis weiter auszubauen und ihre Analyse zu verstetigen. So könnten zukünftig Metadaten aus digitaler Kommunikation, Daten aus sozialen Netzwerken, kameragestützten Erkennungsverfahren und ähnlichen Quellen in eine solche Analyse in Echtzeit einfließen.

Die Herkunft des Predictive Policing aus der herkömmlichen Polizeiarbeit macht sich auch bei ihren Problemen und Gefahren bemerkbar. So inkorporieren die genutzten Programme zum Teil problematische Praktiken der Polizeiarbeit, wodurch sie verschleiert – ja zu objektiv richtigem Vorgehen verklärt – werden. Je nach Datengrundlage und Gestaltung der Software reproduzieren die Algorithmen diskriminierende Sichtweisen und geben ihnen den Anschein objektiver Kriterien. Während bestehende Brennpunkte oder Personengruppen so weiter stigmatisiert werden, kann sich ein blinder Fleck bei Straftaten ergeben, die nicht den herkömmlichen Mustern entsprechen. Die ohnehin illegale Kriminalisierung von Menschen durch die Polizei allein auf Grund äußerer und sozialer Merkmale wie beim Racial Profiling könnte so zum alltäglichen Vorgehen werden. Auch kann Predictive Policing als eine Form der Rasterfahndung angesehen werden, da mit ihr anlasslos und automatisiert beliebige Daten durchsucht werden, um aus typisierten Mustern vermeintliche Täter zu identifizieren.

Wie jeder andere Algorithmus kann auch eine bei Predictive Policing verwendete Software durch Beobachtung in ihrer Arbeitsweise nachverfolgt werden. So kann von Kriminellen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorausbestimmt werden, welche Ergebnisse die Software ausgibt und wie die Polizei daraufhin ihre Arbeit gestaltet. Damit ist es möglich, Polizeiarbeit gezielt zu umgehen, da sie vorhersagbar wird (»predictible policing«). (se)

Zum Weiterlesen

Alexander Gluba, LKA Niedersachsen: Predictive Policing eine Bestandsaufnahme. Historie, theoretische Grundlagen, Anwendungsgebiete und Wirkung, 2014
Chris Jones: Predictive policing: mapping the future of policing?, 2014
Jannis Brühl, Polizei-Software soll Verbrechen voraussagen, 2014
Kai Biermann, Noch hat niemand bewiesen, dass Data Mining der Polizei hilft, 2015

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