Georgensgmünd: Reichsbürger hatte Kontakt zu Polizisten

Beamten nach Bekanntwerden der Vorwürfe suspendiert / Rechtsradikale Bewegung wird bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet

  • Lesedauer: 3 Min.

Nürnberg. Überraschende Erkenntnisse im Fall der Todesschüsse von Georgensgmünd: Der verdächtige 49 Jahre alte »Reichsbürger« habe im Vorfeld der Tat Kontakt zu zwei Polizeibeamten gepflegt, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch in Nürnberg mit. Nach einer Durchsuchungsaktion seien die beiden Polizisten mit sofortiger Wirkung suspendiert worden. Über Einzelheiten wollten Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwochnachmittag die Öffentlichkeit informieren.

Der 49-Jährige, der sich selbst als »Reichsbürger« bezeichnet, hatte Mitte Oktober in Georgensgmünd bei Nürnberg auf Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos geschossen und dabei einen 32-jährigen Beamten tödlich verletzt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte am Dienstag in Berlin erklärt, die rechtsradikale Bewegung werde jetzt bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet. »Wir haben in dieser Woche Einigkeit erzielt, dass ab sofort auch die Reichsbürger in ganz Deutschland Sammelbeobachtungsobjekt des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Länder werden«, sagte der Minister bei den Haushaltsberatungen im Bundestag.

Die Anhänger der Bewegung erkennen die Bundesrepublik nicht an und behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Sie sprechen Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab und akzeptieren keine amtlichen Bescheide.

De Maizière hatte bereits im Oktober eine Neubewertung der Bewegung angekündigt, nachdem ein »Reichsbürger« in Georgensgmünd bei Nürnberg einen Polizisten erschossen hatte. Mehrere Landesbehörden für Verfassungsschutz haben die Bewegung bereits im Visier. Bislang werden aber oft nur Teile davon beobachtet.

Noch im September 2015 hatte das Ministerium auf die Frage, warum die Bewegung nicht vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werde, argumentiert, dass eine einheitliche »Reichsbürgerbewegung« nicht existiere und die Aktivitäten in jedem Einzelfall zu prüfen seien. Im Bundestag betonte de Maizière nun: »Wer diesen Staat ablehnt, der kann auch keinen Pfennig Staatsbürgergeld erhalten und glauben, er könne Polizist oder sonstwo im öffentlichen Dienst sein.«

Offenbar auch durch die stärke öffentliche Präsenz der Problematik aufgeschreckt, haben die Sicherheitsbehörden famit begonnen, stärker im Umfeld der Reichsbürger zu ermitteln. Aus Rheinland-Pfalz hieß es beispielsweise, man habe in einer aktuellen Erhebung mehr Anhänger der rechtsradikalen Bewegung gezählt als noch im Vormonat. »Derzeit rechnen Polizei und Verfassungsschutz der rheinland-pfälzischen Reichsbürger-Szene etwa 230 Personen zu«, teilte Innenstaatssekretär Günter Kern (SPD) auf eine Anfrage der CDU-Landtagsopposition mit, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Seit 2015 führe die Polizei 383 strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Im Oktober zählten die Behörden noch knapp 100 »Reichsbürger«. Ein Ministeriumssprecher sagte, seitdem seien mehr Hinweise bei der Polizei eingegangen. Die Sicherheitsbehörden hätten außerdem aktiv bei anderen staatlichen Stellen nachgefragt.

Auch der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, warnt vor einem weiteren Zulauf zur sogenannten Reichsbürgerbewegung. »Es können noch mehr werden, da die Aufmerksamkeit größer geworden ist, wir also noch mehr Meldungen bekommen und wir auch nochmal genauer hinschauen«, sagte Kramer dem »Handelsblatt«.

In Thüringen wurden nach Angaben Kramers mittlerweile alle bekannten »Reichsbürger« unter Beobachtung seiner Behörde gestellt. Die Behörden gingen derzeit von 50 Menschen mit rechtsextremem Bezug aus, die den »Reichsbürgern« zugeordnet würden. Hinzu komme ein Potenzial von weiteren 500 Menschen.

Seit Februar 2015 meldeten sämtliche kommunalen und staatlichen Einrichtungen in Thüringen Vorfälle mit »Reichsbürgern« an den Landesverfassungsschutz. »Deshalb haben wir auch einen guten Überblick über unsere Szene«, sagte Kramer. »Wir werden das Lagebild und vor allem die Einschätzung des Gefährdungspotentials verdichten.« Agenturen/nd

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