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Friedensverhandlungen: Ultimatum für Kiew
Die USA geben in den Ukraine-Friedensverhandlungen weiter den Ton an
Nimmt man die Aussagen der Beteiligten der Berliner Ukraine-Gespräche, könnte der Krieg in der Ukraine nach bald vier Jahren endlich ein Ende finden. Schon »bald« werde der Frieden kommen, hieß es aus der ukrainischen Delegation. Man sei »kurz davor«, ein Abkommen zu erzielen. Selbst US-Präsident Donald Trump stimmte in den Chor ein, sagte »90 Prozent der Fragen« seien geklärt. Was wiederum bedeutet, dass es immer noch Hindernisse auf dem Weg zu einer Einigung gibt.
Dennoch Grund genug für die Europäer, die sich selbst aus den Verhandlungen katapultiert hatten und in Berlin eigentlich nur stille Gastgeber waren, sich erneut als Diplomaten dazustellen und eine Erklärung vorzulegen, die Entschlossenheit und Unterstützung signalisiert, an sich aber aus altem Stückwerk besteht. Wie man sich eine Armee von 800 000 Soldaten in einem quasi bankrotten Staat mit weniger als 30 Millionen Einwohnern vorstellt, sagen die Europäer nicht. Auch die aus der Mottenkiste hervorgeholte Idee einer europäischen Schutztruppe für die Ukraine (von der gar nicht klar ist, wie sie eigentlich aussehen soll) ist nichts weiter als ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Moskau hatte mehrfach deutlich gemacht, dies als rote Linie zu verstehen. Nach den Berliner Gesprächen erneuerte Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow die Haltung seines Landes. Unter keinen Umständen werde man sich mit Nato-Truppen in der Ukraine abfinden, sagte Rjabkow dem US-Sender ABC News. »Nein, nein und nochmals nein«.
Aber auf die Europäer kommt es ohnehin nicht an. Die Tage in Berlin haben deutlich gemacht, was die Ukraine befürchtete und manche Beobachter schon vor Wochen ahnten: Der US-Vorschlag zum Kriegsende wird am Ende derjenige sein, über den auch wirklich verhandelt wird.
»Für uns scheint es momentan keine gute Lösung zu geben. Entweder werden wir zu einer Teil-Kapitulation gezwungen oder aber der Krieg geht weiter – und ohne neue Hilfe für uns, die etwas verändern würde.«
Ukrainischer Regierungsinsider
Und dieses Angebot sieht Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach Artikel 5 der Nato, also einen Beistandspakt vor. Es ist nicht die erhoffte Mitgliedschaft im nordatlantischen Kriegsbündnis, aber sicherlich mit Abstand das Beste, was Kiew momentan erhalten kann. Wenn die Regierung von Wolodymyr Selenskyj die Chance ergreift. Denn lange wird das »Platin«-Angebot nicht auf dem Tisch liegen, melden mehrere Medien. So großzügig werde sich das Weiße Haus nicht noch einmal zeigen, schreibt das Nachrichtenportal »Politico«. Bis Weihnachten soll Kiew Zeit haben.
Selenskyj steht damit unter Zugzwang. Jetzt ja sagen und sicher nicht den besten Deal herausholen oder Gefahr laufen, ganz ohne Sicherheitsgarantien dazustehen. Hier kommen die noch nicht geklärten zehn Prozent ins Spiel, bei denen es um zwei Fragen geht: Russlands Anspruch auf den gesamten Donbass und der Rückzug der ukrainischen Armee aus den »Festungsstädten« entlang der aktuellen Frontlinie. Beide Fragen hatte Selenskyj wiederholt als nicht verhandelbar erklärt. Auch weil neben der Zukunft des Landes auch seine eigene an diesen Fragen hängt. Sagt Selenskyj ja, würde das sicher sein politisches Ende bedeuten und vielleicht sogar mehr, wie nationalistische Kreise zuletzt andeuteten.
Gleichzeitig wird auch Unzufriedenheit über Selenskyjs Verhalten in Berlin geäußert. Erneut habe er es geschafft, die Verhandlungen hinauszuzögern, indem er sich auf »unterschiedliche Positionen« bezüglich der Gebietsfrage berief, so der Vorwurf. Die Nachrichtenagentur Bloomberg meldet, dass sich Selenskyj jetzt mit seinem Team darüber beraten will. Das bedeutet auch, der ukrainische Präsident ist am Zug. Washington will eine Entscheidung und keine weiteren Ausflüchte über »schwierige Prozesse« und »zahlreiche Details«.
Letztendlich könnte der massive Korruptionsskandal in seinem Umfeld Selenskyj zur Zusage zu den US-Bedingungen zwingen. Selenskyj ist dadurch nicht nur innenpolitisch geschwächt, auch viele europäische Unterstützer sollen innerlich bereits deutlich auf Abstand gegangen sein. Hinzu kommen die schweren Schläge gegen die Energieinfrastruktur. In Odessa und dem Gebiet Donezk gibt es seit Tagen keinen Strom. Auch die Heizungen funktionieren vielerorts nicht.
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»Für uns scheint es momentan keine gute Lösung zu geben«, zitiert die »Bild« einen ukrainischen Regierungsinsider, »entweder werden wir zu einer Teil-Kapitulation gezwungen oder aber der Krieg geht weiter – und ohne neue Hilfe für uns, die etwas verändern würde.«
In Moskau wartet man nun auf das Briefing und gibt sich offiziell ein wenig verhandlungsbereit. Beim Thema Donbass bleibt die russische Regierung aber bei ihrem Nein zu Verhandlungen. Zumal man sich weiter in einer stärkeren Position sieht und in der Ostukraine weiter vorrückt.
Dementsprechend sieht man sich auch gar nicht genötigt, auf Waffenstillstandsforderungen einzugehen. »Wenn die Ukrainer den Wunsch haben und beginnen, den Abschluss eines Abkommens durch kurzfristige, nicht durchführbare Lösungen zu ersetzen, sind wir kaum bereit, daran teilzunehmen«, machte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow klar. Weiter sagte er, Russland sei gewillt, seine Zeile zu erreichen. Und das bedeutet, dass man auch nicht zu Weihnachten die Waffen schweigen lassen will, wie es Bundeskanzler Friedrich Merz in Berlin gefordert hatte.
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