Der virtuelle und der wahre Tod

Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling vor dem Ende

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In seiner virtuellen Welt tötete er zigfach Dämonen mit dem Schwert. Kurz darauf starben beim Zusammenstoß zweier Züge tatsächlich Menschen. Der im Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling angeklagte Fahrdienstleiter muss damit fertig werden, dass er durch sein verbotenes Handyspielen im Dienst und durch das Setzen falscher Signale großes Leid über viele Familien gebracht hat. Oberstaatsanwalt Jürgen Branz ließ in seinem Plädoyer am Freitag keine Zweifel an der Schuld des Mannes aufkommen. »Er hat den Tod von zwölf Menschen verursacht.«

Am Montag verkündet das Landgericht Traunstein nach sechs Verhandlungstagen sein Urteil. Die Anklagebehörde fordert vier Jahre Haft für den 40-Jährigen, die Verteidigung hält Bewährung oder maximal 2,5 Jahre Gefängnis für ausreichend.

Es wurde am Freitag sehr still im Sitzungssaal, als der Staatsanwalt von seinen Eindrücken beim Eintreffen an der Unfallstelle kurz nach dem verheerenden Zusammenstoß berichtete: »Was ich dort gesehen habe, das hat sich bei mir in der Seele festgesetzt. Deshalb muss ich mich zurückhalten, damit ich nicht emotional werde.« Ein anderer Anwalt vertritt eine Frau, die im September ein Kind von einem Mann geboren hat, der bei dem Zugunglück starb. »Es wird seinen Vater nie kennenlernen.«

Nach der ausgiebigen Beweisaufnahme besteht kein Zweifel, dass der Fahrdienstleiter eine ganze Fehlerkette aneinandergereiht hat. Er hat es ja selbst gestanden und sich zu Prozessbeginn bei den Hinterbliebenen entschuldigt. Erst verlegte der 40-Jährige das Kreuzen der Züge auf der eingleisigen Strecke entgegen dem Fahrplan vom Bahnhof Kolbermoor nach Bad Aibling. Dann setzte er ein Sondersignal, das er nicht hätte geben dürfen. Erst dadurch schickte er beide Züge gleichzeitig los. Als er den verhängnisvollen Fehler bemerkte, drückte er die falsche Notruftaste.

Doch wurde im Prozess auch deutlich, dass die Bahn an der Unfallstrecke seit über 30 Jahren eine veraltete Signaltechnik einsetzt. Unfallexperte Rüdiger Muschweck vom staatlichen Eisenbahn-Bundesamt sagte aus, dass die Deutsche Bahn eine Vorschrift von 1984, zusätzliche Anzeigen zu installieren, bis heute nicht umgesetzt hat. Die Bahn beruft sich auf die Einschränkung, dass sie dies nur im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten tun muss.

Hinterfragt wurde ebenso, warum die Bahn nicht längst Sicherungssysteme wie etwa im Luftverkehr einsetzt, um den Zusammenprall von Zügen zu verhindern. Doch da wandte der unabhängige Bahnexperte Martin Will ein: »Die Signaltechnik, die heute bei der Bahn verwendet wird, ist ein sicheres System.« Doch bleibt die letzte Verantwortung beim Menschen, der die Technik in Sondersituationen außer Kraft setzen kann. dpa/nd

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