Werbung

Selenskyjs Ultimatum und Putins Angebot

Russland und die Ukraine ringen um die Initiative bei möglichen Friedensverhandlungen

Während Moskau und Kiew um einen Waffenstillstand ringen, gehen die Angriffe auf die Ukraine weiter.
Während Moskau und Kiew um einen Waffenstillstand ringen, gehen die Angriffe auf die Ukraine weiter.

In die Verhandlungen um einen Waffenstillstand und einen möglichen Frieden in der Ukraine könnte wieder ein wenig Bewegung kommen. Nach dem Treffen der »Koalition der Willigen« in Kiew hat die Ukraine gemeinsam mit seinen europäischen Verbündeten Russland zu einer 30-tägigen bedingungslosen Waffenruhe ab Montag aufgefordert, »um der Diplomatie eine reelle Chance zu geben«. Zudem sei Präsident Wolodymyr Selenskyj zu direkten Verhandlungen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin bereit. Sollte Moskau nicht einwilligen, drohten die europäischen Länder mit weiteren Sanktionen.

Noch in der Nacht reagierte Putin und bot der Ukraine die Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche in der Türkei am Donnerstag an, wie sie kurz nach Kriegsbeginn 2022 stattfanden. Es gehe um eine Wiederaufnahme direkter Gespräche »ohne Vorbedingungen«, betonte Putin, ohne auf das Ultimatum zu einer 30-tägigen Waffenruhe einzugehen. »Diejenigen, die wirklich Frieden wollen, können nicht dagegen sein.«

Türkei zur Vermittlung zwischen Kiew und Moskau bereit

Aus Ankara gab es positive Signale. Die Türkei sei bereit, ihren Beitrag zu leisten und Gespräche zu organisieren, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach einem Telefonat mit Putin am Sonntag. Es habe sich ein »Fenster der Möglichkeiten« für die Regulierung des Krieges in der Ukraine geöffnet, so Erdoğan, der zugleich betonte, dass ein vollständiger Waffenstillstand die nötige Atmosphäre für Verhandlungen gewährleiste. Zuvor hatte das Außenministerium seine Bereitschaft erklärt, einen Waffenstillstand zu überwachen.

Als Reaktion auf Putins Gegenvorschlag sprach der französische Präsident Emmanuel Macron von einem »ersten Schritt«, der aber »nicht ausreichend« sei. Auf seiner Rückreise aus Kiew erklärte Macron gegenüber Journalisten in Polen, eine bedingungslose Waffenruhe könne »nicht durch Verhandlungen vorbereitet werden«.

Europäer wollen Druck auf Putin ausüben

Auch Bundeskanzler Friedrich Merz versuchte nach seiner Rückkehr von Berlin aus, Druck aufzubauen. »Erst müssen die Waffen schweigen, dann können Gespräche beginnen.« Die Ukraine habe einem solchen Vorgehen »ohne Wenn und Aber« zugestimmt, sagte Merz. Ukrainische Medien berichten hingegen, dass Selenskyj von den Europäern gedrängt wurde. Sein Präsidentenbüro habe sich zunächst gegen den vollständigen Waffenstillstand ausgesprochen und wollte eine partielle Feuerpause für den Luftraum fordern. Die Europäer sollen auf der vollständigen Waffenruhe bestanden haben, um Druck auf Putin ausüben zu können.

Das hilft sogar, Putins Gegenvorschlag zu diskreditieren. »Wenn die russische Seite nun Gesprächsbereitschaft signalisiert, ist das zunächst ein gutes Zeichen. Es ist aber bei Weitem nicht hinreichend«, kritisierte Merz. Selenskyj wertete Putins Vorschlag als gutes Zeichen, auf das die Welt schon lange gewartet habe, beharrte er allerdings auf der Forderung nach einer Waffenruhe.

Streit um drei Tage

Damit stehen sich zwei unversöhnliche »Vorschläge« gegenüber. Die Ukraine und die Europäer bestehen auf die Formel: erst Waffenstillstand, dann Verhandlungen. Russland hingegen will erst Gespräche über »die Ursachen, dann Gespräche über eine Waffenruhe«, das habe Putin »deutlich« gesagt, sagte Außenministeriumssprecherin Maria Sacharowa am Sonntag. Dabei ist Putins Angebot durchaus ernst zu nehmen. Das zeigt allein schon, dass er erstmals in seiner Amtszeit Journalisten in der Nacht in den Kreml zitierte.

Der Politikwissenschaftler und ehemalige Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow, attestiert beiden Seiten ein »kindisches« Verhalten. Nach über drei Jahren Krieg streite man über drei Tage, schreibt Galljamow auf Telegram. Russland, dass am Sonntag erneut die Ukraine angriff, wolle das Feuer nicht drei Tage früher einstellen, die Ukraine nicht drei Tage später. Letztendlich komme es auf US-Präsident Donald Trump an, Druck auf beide Seiten auszuüben, bevor man sich wegen der drei Tage überwirft und der Krieg weitergeht.

Moskau und Kiew ringen um die Initiative

Dabei sind die drei Tage letztendlich egal. Im Kern geht es darum, die Initiative an sich zu reißen und die Gegenseite zu Zugeständnissen zu zwingen. Während der Diskussion um Putins dreitägige Waffenruhe zum 9. Mai gab es in der Ukraine durchaus Kritik an Selenskyj sowie die Forderung, die Initiative zu ergreifen und eine einseitige Waffenruhe zu erklären, die Moskau in Zugzwang gebracht hätte.

Jetzt aber könnte Russland leicht im Vorteil sein. Putin soll seinen Vorschlag mit der Trump-Administration abgestimmt haben, heißt es in russischen Medien, ein schlechtes Zeichen für die Ukraine. Für die US-Seite soll Vizepräsident JD Vance verantwortlich sein, der Architekt eines »alternativen Friedensplans«. Das Weiße Haus, so wird gemutmaßt, kann sich auf diese Weise vom gescheiterten »Waffenstillstand unter Druck« Selenskyj und der Europäer distanzieren und das Gesicht wahren.

Selenskyjs Ultimatum wäre damit hinfällig. Putin hat eine realistischere Verhandlungsvariante vorgeschlagen und damit wieder Druck auf den ukrainischen Präsidenten aufgebaut. Sollte Kiew nicht zu Gesprächen in Istanbul bereit sein und das Verbot zu direkten Gesprächen mit Russland aufheben, steht man als Bremsklotz für eine mögliche Friedenslösung da. Da helfen auch neue Sanktionsdrohungen Macrons oder Merz’ gegen Putin reichlich wenig, hat man doch schon fast alles sanktioniert, was möglich ist. Einzig die USA sind in der Lage, Druck auf Moskau auszuüben. Nach US-Medienangaben soll Trump seine Unterstützung für das europäische Ultimatum erklärt haben.

Moskau und Kiew sind nicht bereit zum Frieden

Letztens Endes wird es darauf ankommen, wie sehr man in Moskau und Kiew (genau wie in Brüssel und Washington) wirklich an einem Frieden interessiert ist. Dann könnten das Ultimatum und Putins Gegenvorschlag der holprige Auftakt zu ernsten Verhandlungen sein.

Dass es so weit kommt, glaubt die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja nicht. »Die Realität ist, dass weder Moskau noch Kiew bereit sind, einem anhaltenden Frieden zuzustimmen, da ihre Positionen fundamental unvereinbar« mit der anderen Seite sind, schreibt Stanowaja auf X. Für eine wirkliche Einigung müssten in Russland oder der Ukraine innere Veränderungen stattfinden oder ein militärischer Durchbruch einer Seite.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.