Romeros erste Kahnpartie

Zweimal im Jahr stakt Landwirt Kilka seine Rinder - vom Spreewaldhof zur Weide und retour

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Nun schaut Romero doch unsicher. Eben noch lief der Jungbulle zielstrebig auf das Ufer zugeleitet durch zwei hölzerne Seitenplanken und vor allem wohl den Duft frisch aufgeschnittener Kürbisse. Doch plötzlich scheut er, dreht kurzentschlossen um, will zurück in das sichere Fanggatter. Die Männer können das ungestüme Kraftpaket nicht aufhalten, müssen stattdessen sehen, dass sie nicht vor seine Hörner geraten.

So müssen zunächst tierische Vorbilder ran, um den unerfahrenen Jungrindern die Angst vor dem kleinen Abenteuer zu nehmen, das sie eben dort erwartet, wo für sie bisher immer die Koppel endete - und das Wasser begann. Doch nun steht dort ein Kahn, genauer gesagt zwei. Einer davon gehört Sebastian Kilka, der die Tiere im Nebenerwerb bewirtschaftet, der andere seinem Nachbarn Helmut Bitzker. Geschickt haben sie beide Kähne gekoppelt und über den unkonventionellen Katamaran eine Stellage gezimmert. So nennt der 36-Jährige den improvisierten schwimmenden Ferch, dank dem sie verhindern, dass die Kühe womöglich zu Seekühen werden.

Und die ersten Tiere stehen nun auch im reichlich mit Heu ausgepolsterten Kahn und fressen genüsslich Kürbishälften. Es sind die älteren Kühe, die längst wissen, dass so eine kleine Kahnfahrt die Aufregung nicht wert ist. Sie erleben es schließlich zweimal im Jahr: im Mai, wenn es hinaus auf die langsam abgetrockneten Weiden geht, und im späten November beim Rücktransport zum Stall.

Anders die Kälber, die teils erst im Sommer geboren wurden. Sie seien fast wild, erzählt Sebastian Kilka, hätten bisher kaum menschlichen Kontakt gehabt, geschweige denn einen Strick um den Hals. Doch da sein Hof mit dem knapp 200-jährigen Blockhaus vorn am Fließ, den vor ihm schon sein Großvater und sein Vater bewirtschafteten, komplett von Wasser umgeben ist, muss er halt auch für die Rinder Fährmann spielen. Ohnehin spiele sich ihr halbes Leben irgendwie auf dem Wasser ab, sagt Gattin Anja lachend. Erst am Morgen zum Beispiel hatte sie wie an jedem Wochentag ihre vier Kinder nach Lübbenau (Oberspreewald-Lausitz) zur Kita oder in die Schule gestakt.

16 Hektar Grünland bewirtschaftet Kilka inmitten der weitläufigen Fließe. Hinzu kommen weitere vier Hektar, die der hauptberufliche Wasserbauer quasi ehrenamtlich betreut - teils für die Bürgerstiftung »Kulturlandschaft Spreewald« in Lübbenau, teils für den Förderverein Lehde, in dem er als stellvertretender Vorsitzender agiert. Denn Ziel des Vereins seien der »Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Dorfcharakteristik mit unverwechselbaren Naturräumen und traditionellen Bau- und Lebensweisen«, erläutert der 36-jährige Spreewäldler, dem die Liebe zu seiner Heimat tief im Herzen steckt. Das aber sei nur erreichbar, wenn sie es schafften, Lehde und sein Umland als »lebendigen Lebensraum« zu bewahren, sagt er.

»Spreewiesen waren schon immer Mähwiesen«, weiß Kilka, der inzwischen der einzige Landwirt auf einem komplett von Wasser umgebenen Spreewaldhof ist. Mithin sei der Bestand an Weidetieren im Biosphärenreservat zuletzt immer stärker zurückgegangen. Auch Kilka hat, wenn er im August auf seinen Wiesen das Winterfutter schneidet, mehr Heu übrig, als seine derzeit zwölf Tiere fressen. So soll die Herde noch wachsen, zugleich sieht er seine Arbeit aber auch schlicht als unverzichtbare Landschaftspflege. Damit bringt er sich in das speziell auf Brandenburg zugeschnittene ginkoo-Projekt ein. Darin widmet sich eine Innovationsgruppe - gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung - sozialen und wirtschaftlichen Fragen solcher Nischenlösungen. Ziel sind neue Koordinierungsformen für nachhaltiges Landmanagement.

Unterdessen haben die Sebastian Kilka und die vier Lehder Nachbarn, die ihm heute assistieren, nach und nach alle Rinder an Bord. Unterstützt durch einen kleinen Hilfsmotor, staken sie nun den Doppelkahn behutsam durch die Fließe, rangieren ihn schließlich in einen schmalen Nebenarm, der direkt zum nagelneuen Offenstall führt. »Der hat heute auch seine Premiere«, lacht der stämmige Landwirt. Erst in den letzten Monaten hatte er ihn selbst hochgezogen.

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