Möbel sind Sonderausstattung

Das ehemalige Rathaus Wilmersdorf beherbergt seit fast eineinhalb Jahren Flüchtlinge

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Kleider liegen auf dem Boden, Taschen und Tüten sind auf Doppelstockbetten ausgebreitet, als würde alles, was in das Zimmer getragen wird, irgendwo hingepfeffert. Erst auf den zweiten Blick fällt auf: Es gibt keinen Schrank, kein Regal, keinen Tisch, um Kleider zu verstauen oder Dinge abzulegen. Bei sechs Personen in einem Raum ist das Chaos vorprogrammiert. So sah es noch Ende September im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf aus.

Der Syrer Ala Harcho wohnt hier mit seiner Frau und vier Kindern am Fehrbelliner Platz, in dem seit August 2015 Flüchtlinge untergebracht sind. Wie etwa 60 Turnhallen und weitere Gebäude wurde es zur Notunterkunft umfunktioniert, als ab dem Sommer 2015 täglich bis zu 1000 Flüchtlinge nach Berlin kamen. Während jedoch für die Sportstätten bereits im Mai dieses Jahres Auszugspläne veröffentlicht wurden, war das Rathaus nicht dabei. Ehemalige Büroräume mit Fenstern gelten als vergleichsweise hoher Standard. Zu Recht. Probleme gibt es aber auch hier.

Harcho muss sich zwar nicht mit 200 Menschen einen Raum teilen, doch auch seine Privatsphäre ist eingeschränkt. Seine sechsköpfige Familie lebt in einem Raum, der sich nicht abschließen lässt. Dabei hat der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) als Betreiber der Unterkunft bereits zu Jahresanfang neue Schlösser beim zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) beantragt. Aber Schlösser kosten Geld und sind kein regulärer Bestandteil einer Notunterkunft. Vor einer Woche haben die Mitarbeiter des mittlerweile eingerichteten Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) außerdem einen Brandbrief an die Behördenleitung geschickt, in der sie Überarbeitung beklagen.

So hat es auch fast ein Jahr gedauert, bis das Landesamt einem Antrag für das ehemalige Rathaus Wilmersdorf auf Möbel zustimmte. Auch die gehören nicht zum Standard einer Notunterkunft. Seit zwei Wochen gibt es nun einen abschließbaren Schrank, außerdem wurden endlich Tisch und Stühle angeliefert.

Vorher hatten sich manche Bewohner Tische aus Kartons gebaut. Aus Brandschutzgründen war das aber verboten. Selbst Wasserkocher sind auf den Zimmern nicht erlaubt. »Deshalb wollen wir Teeküchen einrichten«, sagt Holger Michel, Sprecher der Ehrenamtlichen. Doch auch dieser Antrag liege bereits seit über einem Jahr beim Landesamt.

Rund 150 Ehrenamtliche helfen regelmäßig im Rathaus Wilmersdorf mit. In den ersten Wochen, als das Haus noch keinen Heimleiter hatte und viele Strukturen noch nicht festgelegt waren, belegten Ehrenamtliche im Erdgeschoss, direkt neben dem Eingang, einen Büroraum, den sie bis heute behalten haben. An einer Wand hängen Zettel in verschiedenen Farben, die unterschiedliche Bereiche kennzeichnen. Freiwillige geben Deutschunterricht, helfen mit Formularen, betreuen die Kinderbibliothek, unterstützen die hauptamtliche Ärztin. Das Nähzimmer betreut eine Bewohnerin. Eine ehemalige Ehrenamtliche ist mittlerweile in der hauseigenen Wäscherei angestellt, ebenso wie ein ehemaliger Bewohner.

Jeder, der im Haus wohnt, kann einmal alle 14 Tage eine volle Maschine waschen lassen. Harcho würde gerne häufiger die Kleider seiner Kinder waschen und aus Hygienegründen öfter frische Bettwäsche aufziehen. Es gibt aber nicht mehr Kapazitäten. Zwölf Maschinen laufen ununterbrochen 14 Stunden am Tag. Nur nachts stehen sie still.

Wie in fast allen Notunterkünften sind häufig nicht alle Bewohner zufrieden mit dem Essen. Dabei sind einige Bewohner seit Juni in die Ausarbeitung des Speiseplans eingebunden. Ein Bewohner wurde außerdem als Koch angestellt. »Bei 1000 Menschen kann man es nicht jedem Recht machen«, sagt Michel. Das Problem sei letztlich, dass die Menschen nicht selbst kochen können.

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