Die Retter der Laborratten

In Italien prüft eine EU-Behörde alternative Testmethoden für die Pharmazie

  • Véronique Leblanc, Ispra
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Tierversuche sind bei der Entwicklung neuer Medikamente unumgänglich - noch. Denn im norditalienischen Ispra werden seit anderthalb Jahrzehnten alternative Methoden geprüft.

Für Laborratten ist es eine schlechte Nachricht: Die EU will 30 000 häufig verwendete Substanzen auf ihre Verträglichkeit für Mensch und Umwelt prüfen lassen. Im Juni tritt die Chemikalien-Richtlinie »REACH« in Kraft. Millionen Versuchstiere dürften jetzt zusätzlichen Tests ausgesetzt werden.
Doch eine kleine EU-Behörde im norditalienischen Ispra nahe der Schweizer Grenze, das Europäische Zentrum für die Validierung Alternativer Methoden (Evcam), arbeitet daran, das zu ändern. Seit 1991 prüft die Behörde Methoden, wie ohne Tierversuche Chemikalien auf ihre Verträglichkeit für Menschen getestet werden können. Insgesamt 53 Beschäftigte arbeiten hier, unter ihnen drei Mediziner, ein Biologe und ein Chemiker. Aus Sicht von Ecvam-Direktor Thomas Hartung erlauben alternative Methoden nicht nur, Tierleben zu erhalten. Sie seien auch effizienter und wirksamer, sagt der Biochemiker, der 2002 von Konstanz an den Lago Maggiore gewechselt ist.

Weniger Tiere getötet
Wenige Schritte von Hartungs Büro führen zwei Laboranten ein Experiment aus. Einem Rattenembryo waren Zellen entnommen worden, an denen nun die Wirkung einer Chemikalie geprüft wird. Das Embryo und seine Mutter seien dafür getötet worden, sagt Hartung. Aber Tests an Hunderten anderen Ratten würden dafür überflüssig. Noch effizienter seien Tests, die direkt an menschlichem Gewebe unternommen würden. Denn Ergebnisse von Tierversuchen ließen sich nie ohne Weiteres auf den Menschen übertragen, in 30 Prozent der Fälle seien sie hierfür gar nicht anwendbar. Obendrein sind alternative Testmethoden laut Hartung oft günstiger und bräuchten, wenn an Gewebe statt an Tieren unternommen, weniger Zeit. Daran sei besonders die pharmazeutische Industrie interessiert. Angesichts der begrenzten Schutzdauer von 25 Jahren für neue Medikamente wolle die Industrie diese rasch auf den Markt bringen, ohne durch teure und nicht vollständig zuverlässige Testmethoden aufgehalten zu werden, sagt Hartung. Das EU-Zentrum in Ispra hat dabei selbst an seiner Effizienz arbeiten müssen. Am Anfang hatte es sieben Jahre gedauert, bis eine neue Testmethode die Zulassung des Zentrums erhielt. Derzeit sind es drei, und Hartung will die Spanne nochmals halbieren.

Industrie ist misstrauisch
Gleichzeitig hat die Behörde, um Information zugänglich zu machen, eine Datenbank für alternative Testmethoden eingerichtet. Ispra arbeitet dabei mit der vergleichbaren US-Behörde und der Umweltabteilung der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit zusammen, den beiden anderen Referenzinstituten. »In unserer Tätigkeit ist nur weniges geheim«, sagt Hartung. »Wir informieren über den Grad der giftigen Wirkung einer Substanz, ohne allerdings deren chemische Formel aufzudecken.«
Die Industrie unterstützt nach eigenen Angaben Bemühungen, Tierversuche zu vermeiden, meint Jean-Claude Lahaut, Direktor des Europäischen Rates der Chemieindustrie (Cefic). Wirtschaft und Ethik gingen hier zusammen. Man habe zusammen unter der Schirmherrschaft von EU-Industriekommissar Günter Verheugen und Forschungskommissar Janez Potocnik eine Partnerschaft für die Förderung alternativer Testmethoden gebildet. Neben Tierschutzorganisationen gehörten ihr Unternehmen wie Bayer, BASF, Henkel und LOréal an, sagt der Belgier, der früher für das belgische Chemie-Unternehmen Solvay gearbeitet hat. Lahaut möchte aber dem Zentrum in Ispra nicht zu viel Macht einräumen. »Die Industrie fürchtet, dass das Ecvam von einem Förderer alternativer Testmethoden zu einem Entscheidungsträger werden könnte.«
Doch das Zentrum in Ispra steht noch vor weiteren Herausforderungen als nur dem latenten Misstrauen der Industrie: Die EU richtet in Helsinki eine Behörde für Chemieprodukte ein. Die Aufgabenbereiche der beiden EU-Behörden sind noch nicht genau getrennt. Thomas Hartung nimmt es gelassen. »M...

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