Diebesjagd auf Büffeln

Auf Marajo am Amazonas benutzt die Polizei die Tiere als Fortbewegungsmittel

  • Georg Ismar, Soure
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon nach einer Minute wird die Patrouillentour von Sergeant Vitelli Cassiano abrupt gestoppt. Ein erklecklicher schwarzer Kuhfladen platscht auf die staubige rote Sandpiste. Sein asiatischer Wasserbüffel nimmt aber, nachdem er sich erleichtert hat, sofort wieder den Dienst auf. Seit 23 Jahren ist der Polizist stolzes Mitglied der einzigen Reiterstaffel der Welt, die auf Wasserbüffeln auf Streife geht - und Verbrecher jagt. Ort des Ganzen: Die brasilianische Amazonas-Insel Marajo. Von Belém geht es zwei Stunden per Boot zur Inselhauptstadt Soure. Es ist die größte Flussinsel der Welt. Sie liegt im Norden Brasiliens, im Mündungsgebiet des Amazonas, ein Teil grenzt direkt an den Atlantik.

Die Turbulenzen des Krisenjahres 2016 sind in diesem entlegenen Fleck der Erde fern. Marajo, das ist die Entdeckung der Langsamkeit. Schon am Fähranleger der verschlafenen Hauptstadt wird für »Ice Búfalo« geworben. Das Logo der Eisfirma ziert ein lachender schwarzer Büffel mit elegant geschwungenen Hörnern. Neben Büffeleis im Becher gibt es auch Büffelmilch, Büffelkäse und Büffelfleisch. »Büffel, Büffel, Büffel«, murmelt Sergeant Cassano bei seiner Patrouillentour, seine Uniform ziert ein gelber Schriftzug »Policia Militar«. »Das ist hier unser Leben. Und unser Essen.« Gerade die sehr zarten, fettarmen Steaks, garniert mit dem weißen Käse, gelten als Delikatesse.

Am berühmtesten Strand, der Praia do Pesqueiro, steht fast jeden Tag Walter Cardoso, der bis zu 200 Reais (rund 50 Euro) am Tag verdient mit Fotos, die Badegäste auf seinem Büffel machen. Er hat das Tier »Krieger« getauft. Im Hintergrund schwappen die Wellen. Ein Büffel am Strand, nicht alltäglich, aber hier fast normal. »Das ist die zweitreichste Büffelgegend der Welt nach Asien«, meint er.

Marajo ist mit rund 40 000 Quadratkilometern fast so groß wie die Schweiz. Der Legende nach verunglückte um 1890 ein Frachtschiff vor der Atlantikküste, das Wasserbüffel geladen hatte. Der Großteil rettete sich in Marajo an Land - die Tiere vermehrten sich prächtig. Ein Polizist spricht von mindestens 200 000 Büffeln auf der Insel, Schätzungen reichen bis zu einer Million. Es ist ein Terrain wie für Wasserbüffel gemacht. Es gibt sumpfige Mangrovenwälder, in der Regenzeit ist das von vielen Flüssen durchzogene Gebiet mit Autos und Pferden kaum zu durchqueren, alles ist überflutet. So kam die Polizei vor 25 Jahren auf die Idee mit der Büffelstreife, selbst das Wappen der Polizei in Soure zeigt einen Büffel in einem blauen Fluss.

Ob als Nutz- und Haustier oder als Fleischlieferant, einen Büffel hat hier fast jede Familie. Der Chef der Polizei auf der Insel ist Kommandant Oscar Guimarães (44). Er war bereits in Santarém und Belém stationiert, hat eine Ausbildung bei der Reiterstaffel. Der Sprung vom Pferd zum Büffel sei nicht weit, »eine kleine Adaption«, sagt er grinsend. »Das Pferd bremst man über das Maul, den Büffel über die Nase.« Die Tiere seien einfach »rustikaler« als Pferde, wenn ein Dieb durch einen der Flüsse flüchtet, kann er per Büffel besser gestellt werden.

Auch Polizeichef Guimarães erzählt von den schiffbrüchigen Büffeln. »Aber es gibt zwei Versionen«, sagt er. »Die andere besagt, dass sie über Großgrundbesitzer hierhin gekommen sind, die sie aus Asien eingeführt haben.« Alles sei perfekt hier für sie: Klima, Landschaft.

Fünf Büffel hat die Polizei im Einsatz, drei Autos und zwei Motorräder. Sergeant Cassiano kommt morgens um acht zum Hauptquartier, die Büffel stehen auf dem benachbarten Fußballplatz, alle haben einen Namen. Gewöhnungsbedürftig ist, dass die Büffel über an den Nasenringen befestigte Zügel gesteuert werden, das tut schon beim Hinsehen weh.

Baratchina, zehn Jahre alt, wird gewaschen, das Fell ist mit Lehm verklebt. Die domestizierten Büffel werden besonders in Südostasien zur Bewirtschaftung von Reisfeldern eingesetzt. In Marajo gibt es vier Arten, die u. a. ursprünglich aus Indien stammen - zu erkennen an den Hörnern: mal zu den Seiten abstehend, mal wie zwei Sicheln geschwungen.

Vitelli Cassiano grüßt majestätisch vom Sattel, ein Plausch mit einem Mopedfahrer. In den Sümpfen wird der Polizist heftig von Moskitos attackiert, während Baratchina fast komplett einsinkt. In stabilem Terrain kann so ein schwerer Büffel auf Befehl richtig losgaloppieren, bis zu 30 km/h.

Da will man nicht in der Haut des Flüchtenden stecken. Die Verbrechen hier, Morde? »Höchstens einer pro Jahr«, sagt Kommandant Guimarães. »Es gibt vor allem Probleme mit Drogenhandel«, berichtet der bullige Chef der Polizeieinheit. »Und es werden viele Büffel gestohlen.« dpa/nd

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