Kampf für Toleranz

Ruth Klüger erhielt den Lessingpreis

  • Michael Hametner
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Lessing-Museum im sächsischen Kamenz zeigt ein Gemälde, das Lessing und seinen Bruder Theophilus darstellt. Der Vater als Stadtpfarrer dürfte sich das Bild etwas kosten lassen haben. Beinah hätte sich der fünfjährige Gotthold nicht malen lassen, hört man, außer er dürfe neben einem Stapel Bücher posieren und eines auf den Schoß nehmen. Das Resultat wird dem Vater sicher gefallen haben, denn er bekam seine Kinder als zwar ziemlich altklug aussehende, aber offensichtlich erfolgreiche Erwachsene wieder. Obwohl Lessing, für sich gesehen, gar nicht so erfolgreich wurde. Erst ging sein deutsches Nationaltheater-Projekt in Hamburg bankrott und dann wurde er nicht in Preußen Bibliothekar, sondern im kleinstaatlichen Wolfenbüttel. Und aus pekuniärer Not musste er zweimal im Leben die Bücher, die er besaß, verkaufen. Dass er ansonsten überaus erfolgreich wurde, den Deutschen das erste Lustspiel schenkte und das erste Trauerspiel, den Kanon von Literatur- und anderer Kunstkritik und mit dem »Nathan« den Glauben an Toleranz, den er mit Polemik vertrat, das ist wahrlich nicht wenig. Seine Geburtsstadt Kamenz weiß diese Schätze zu würdigen, vergibt im Zwei-Jahres-Rhythmus den Lessingpreis, veranstaltet mittlerweile die 46. Lessing-Tage und unterhält mit Hilfe von Fördermitteln aus Bund und Land eine produktive Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption, die sich von einem wissenschaftlichen Beirat beraten lässt. Zum achten Mal vergab der Freistaat Sachsen aus der Hand seines Ministerpräsidenten den Lessingpreis. Dass die 75-jährige Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ruth Klüger damit geehrt wurde, spricht für eine gut beratende Jury. Ruth Klüger, geboren 1931 in Wien, brachten die Nazis als Jüdin bereits mit elf Jahren in das Konzentrationslager Theresienstadt, später ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und dann noch ins Lager Christianstadt, ganz in der Nähe von Kamenz gelegen. Sie hatte schon ein Jahr nach Ende des Nationalsozialismus, Deutschlands Zeit ohne jegliche Toleranz, ihren Aufsatz für das Notabitur in Straubing über Lessings »Nathan« verfasst. Trotzdem dürfte ihr Glaube an deutsche Toleranz gegenüber Juden nicht sehr groß gewesen sein, denn sie wanderte mit der Mutter aus, ging 1947 in die USA, studierte dort und wurde eine angesehene Germanistin, die immer wieder auf Lessing stieß. Zu den deutschen Lesern kam sie 1992 zurück, als sie im Göttinger Wallstein-Verlag (Suhrkamp wollte nicht) ihr Buch »Weiter leben. Eine Jugend« publizierte. Eine der präzisesten und unpathetischsten Erinnerungen, die über den Holocaust je verfasst worden sind, in denen sie ihr bedrohtes Leben als Wiener Jüdin in drei Konzentrationslagern berichtet. Wie sie ihr Überleben durch einen waghalsigen Trick erreicht, indem sich die 13-Jährige vor der Gaskammer nur rettet, weil sie sich als 15-Jährige ausgibt, findet sich in »Weiter leben« mitgeteilt. Das Buch liegt mittlerweile in hunderttausend Exemplaren vor und gilt unverändert als Lektüreempfehlung. Auf den Lessingpreis hielt die Germanistin eine der originellsten Dankreden, denn sie verband ihre Lessingliebe mit dem Geist einer Feministin und untersuchte die Frauengestalten in Lessings »Nathan«. Von diesen ließ sich geradewegs auf den großen Humanismus Lessings zugehen, ein Weg, der so wohl noch nicht gegangen war. Kamenz und diese Preisvergabe zeichneten eine Frau aus, die vor knapp zwei Jahren in Gewissensnot gekommen war, als sie ihre Dresdner Rede anlässlich des 60. Jahrestags des Erinnerns an das Bombardement von Dresden absagte, weil sie über Victor Klemperer nicht sprechen wollte, während vor dem Theater NPD-Anhänger aufmarschierten. Die traditionell zum Lessingspreis vergebenen beiden Förderpreise gingen in diesem Jahr an den Dresdner Lyriker Volker Sielaff und den Leipziger Romanautor Clemens Meyer. Auch diese Entscheidung war eine erste Wahl. Damit konnte Kamenz seine Lessingtage, für die noch bis zum 15. Februar Film- und Theaterprojekte, Vorträge und Streitgespräche angesetzt sind, recht glücklich starten. Dem Sohn der Stadt zum Ruhme, aber vor allem zum Angedenken an seinen Kampf für Toleranz.

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