Harmlos oder hochgefährlich

Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln können schwere Komplikationen auslösen und sogar zum Tod führen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Manche Infektionen, die man ursprünglich zu den Kinderkrankheiten zählte, kommen heute nur noch selten vor. Typisch für die Krankheitsgruppe ist die hohe Ansteckungsgefahr und die in der Regel folgende lebenslange Immunität. Masern, Mumps (oder Ziegenpeter), Poliomyelitis (Kinderlähmung), Röteln, Ringelröteln und Windpocken gehören zu dieser Gruppe. Als weitere Kinderkrankheit gilt das Drei-Tage-Fieber, das vom Humanen Herpesvirus 6 ausgelöst wird. Auch Keuchhusten und Scharlach werden dazu gezählt, obwohl die Immunität hier nur zeitweise auftritt oder wegen verschiedener Serotypen beim Scharlach nur eingeschränkt schützt. Im Gegensatz zu den zuvor genannten viralen Infektionen kommen bei Scharlach und Keuchhusten Bakterien als Auslöser zum Zuge. Impfungen sind gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken möglich, ebenso gegen Keuchhusten.

Kinderkrankheiten gelten noch immer als größtenteils harmlos - mit Ausnahme der Masern. Erst im vergangenen Jahr starb in Hessen ein sechsjähriges Mädchen an deren Folgen. Aliana litt an Gehirnentzündung, der subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE). Sie ist eine mögliche Spätfolge einer Maserninfektion und verläuft, wie man heute weiß, immer tödlich. In der Bundesrepublik wurden für den Zeitraum von 2003 bis 2009 31 Kinder mit dieser Komplikation ermittelt, bei 13 Kindern konnte eine frühere Maserninfektion nachgewiesen werden.

Inzwischen haben US-Infektiologen Daten von etwa 10 000 Masernkranken zwischen 1988 und 1990 untersucht. Unter ihnen waren auch 3651 Säuglinge, von denen in den Folgejahren sechs Kinder an SSPE erkrankten und starben. Diese Hirnhautentzündung verläuft langsam, sie kann zwischen drei Monaten und drei Jahren dauern. Die Entzündung beginnt mit psychischen Symptomen, es folgen Muskelkrämpfe und epileptische Anfälle. In der dritten Phase treten Bewusstseinsverlust, Lähmungen und Störungen der vegetativen Funktionen auf. Nach den neuen US-Zahlen kommt auf 609 Säuglinge ein SSPE-Fall. Bei den an Masern erkrankten älteren Kindern unter fünf Jahren beträgt das spätere Risiko für diese Komplikation nach den neuen Zahlen 1 zu 1387.

Weitere Komplikationen nach Masern können Lungen- und Mittelohrentzündung sowie Infektionen des Kehlkopfes und der Luftröhre sein. Sie traten auch im Zuge des Ausbruchs 2015 in Deutschland gehäuft auf. Von dieser Masernwelle vor zwei Jahren war Berlin besonders betroffen - die meisten Erkrankungen erlitten 18- bis 44-Jährige, außerdem Ein- und Zwei-Jährige. Das Robert-Koch-Institut (RKI) sprach zurückhaltend von einigen wenigen Impfversagern. Der Impfschutz könnte bei älteren Erkrankten nicht auf Dauer gewirkt haben. Ähnliche Hinweise gab es in einer Studie aus Finnland, derzufolge 15 Jahre nach der Impfung die Zahl der Antikörper im Blut der Untersuchten um zwei Drittel gesunken war. Die Autoren vermuteten, dass ein geimpftes Immunsystem wohl eine Art Training mit echten Erregern haben muss, um die Abwehr aufrecht zu erhalten. Auch das RKI sieht die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen zum Reizthema Impfen.

Bei den Masern scheint sich in den letzten Jahren ein Rhythmus von stärkeren Ausbrüchen auszubilden, etwa im Zweijahresabstand kommt es zu Erkrankungswellen. Das war 2006, 2008, 2011, 2013 und 2015 der Fall. Für 2016 lagen die jüngst gemeldeten Fallzahlen wieder relativ niedrig bei etwa 300 für die gesamte Bundesrepublik. Ärgerlich ist diese das für die Gesundheitspolitik, hatte doch Deutschland wiederholt angekündigt, die Masern eliminieren zu wollen. Stattdessen zählt sie europaweit mit zu den Schlusslichtern.

Mit Komplikationen ist auch bei anderen Kinderkrankheiten zu rechnen. Mumps kann bei Jungen eine Hodenentzündung auslösen. Ist diese beidseitig, droht Unfruchtbarkeit. Die Infektion selbst trat 2015 in 700 Fällen auf. Relativ bekannt ist die mögliche Schädigung von ungeborenen Kindern an Gehirn, Augen und Ohren, wenn die Mutter in der Schwangerschaft an Röteln erkrankt. In den Jahren 1999 und 2000 wurden nur vier bzw. fünf Fälle gemeldet, in den Jahren 2010 und 2011 gar keine mehr. Registriert wurden 2015 nur 89 Fälle von Röteln insgesamt. Eine in der Tat eher harmlose Kinderkrankheit sind die Ringelröteln - dabei kann ebenfalls ein Hautausschlag auftreten, muss aber nicht. Der auslösende Parvovirus B 19 bewirkt unter Umständen auch nur Symptome eines leichten grippalen Infekts. Zur Zeit geht man davon aus, dass bis zur Einschulung etwa 15 von 100 Kindern Ringelröteln gehabt haben. Eher störend als wirklich gefährlich zeigen sich die Windpocken, von denen 2015 etwas über 23 000 Fälle gemeldet wurden. Bei Erwachsenen sind sie jedoch in jedem fünften Fall mit einer Lungenentzündung verbunden. Nach überstandener Krankheit können zurückgebliebene Viren noch Jahre später wieder aktiv werden und eine Gürtelrose auslösen.

Abschließend eine Erfolgsgeschichte: Der letzte durch ein Wildvirus ausgelöste Fall von Kinderlähmung trat in Deutschland 1990 auf, die beiden letzten importierten Fälle 1992. Zumindest diese Kinderkrankheit ist in der Bundesrepublik erfolgreich eliminiert. An ihren Spätfolgen aber leiden noch immer mehrere Zehntausend Menschen.

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