Lieber mitgröhlen statt Hip-Hop hören

Beim Sechstagerennen im Berliner Velodrom können Traditionen nicht so einfach unter den Teppich gekehrt werden

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 3 Min.

Sechstagerennen in Berlin. Bisher wurde die Pedal- und Speichen-Show von den Fans und Medien als die »fünfte Jahreszeit« an der Spree bezeichnet. Jubel, Trubel, Heiterkeit und Weltklasseradsport - versteht sich. Das war schon im alten Sportpalast, in der früheren Deutschlandhalle sowie in der einstigen Werner-Seelebinder-Halle so. Im Sommer stieg das Londoner Unternehmen »Madison Sports Group« als Besitzer des Berliner Sechstagerennens ein. Sie wollten die Show umkrempeln.

Nun ist eine Erneuerung von Zeit zu Zeit nicht schlecht. Doch wenn man gewachsene Traditionen unter den Tisch kehrt, kann man schnell ohne Fans da sitzen. Bernd Schneider (66) reist seit 20 Jahren aus Plauen zu den Sixdays an und war am Donnerstag schockiert, als DJ Tomekk die Musik auflegte. Der ehrenamtliche Radsportfunktionär glaubte ins RAW-Viertel an der Warschauer Straße geraten zu sein.

»Wir wollen junge Leute ins Velodrom locken«, begründete Sixday-Geschäftsführer Valts Miltovics den neuen Musikteppich. Harte Hip-Hop-Bässe statt Schlager zum Mitgröhlen. Miltovics bemerkte schnell, dass das beim Berliner Publikum nicht ankam. Zudem fehlte Spannung bei den Jagden wegen fehlender Wertungssprints. »Wir haben die ab Sonntag wieder reingenommen, damit mehr Bewegung ins Feld kommt«, sagte Sportdirektor Dieter Stein. Bei den kleinen Jagden über 20 Minuten oder 100 Runden klingelt nun alle zehn Runden wieder die Glocke zum Wertungsspurt. »Dadurch ist mehr Leben auf der Bahn«, freut sich auch der Cottbuser Profi Nico Heßlich. Auch seinem Vater, Olympiasieger Lutz Heßlich gefällt das. Auf der Bahn ging die Post ab, und knapp 15 000 erfreuten sich wieder an toller Sechstage-Atmosphäre.

Einige Fans wunderten sich etwas über die Zurückhaltung der Stars in Sachen Rundengewinne. »Das hat seinen Grund«, sagt Andreas Müller. Der 37-jährige Profi tritt zwar für Österreich in die Pedale, hat aber noch nie weiter vom Velodrom entfernt als fünf Minuten Fußweg gewohnt. Müller erklärt: »Früher sind wir kleinere Gänge gefahren. Heute kette ich 55:13. Das erfordert einen viel größeren Kraftaufwand. Da überlegt man sich jeden Ausreißversuch.«

Dieter Stein geht mit seiner Erklärung etwas tiefer: »Die neue Madison Sportgroup hat viel Geld ausgelobt. Die Profis wollen das natürlich alle verdienen und gehen deshalb gewagter an die Übersetzungen ran.« Als Maß aller Dinge im Rundenkarussell der Zweier-Mannschaften entpuppten sich in der ersten Hälfte des Rennens die »fliegenden« Holländer Yoeri Havik und Wim Stroetinga. Sie führte nach Punkten vor ihren rundengleichen Landsleuten Jens Mouris und Pim Ligthart.

Die deutschen Favoriten Leif Lampater und Marcel Kalz mussten nach der kleinen Jagd am Sonntag aufgeben. Bei Kalz ging sozusagen der Po K.o. »Die Sitzbeschwerden waren zu schmerzlich«, sagte Kalz. Lampater bestritte die Große Jagd am Sonntag dann bereits mit seinem neuen Partner Maximilian Beyer. Dem Berliner war am Sonnabend durch einen schweren Sturz Partner Christian Grasmann (Knieverletzung) verloren gegangen.

Für ein kleines medizinische Wunder sorgte derweil Ex-Weltmeister Maximilian Levy. Zwölf Tage nach einer Schlüsselbein-OP jagte er beim Rundenrekordfahren mit 71,4 Kilometern pro Stunde um die Piste. Nach der Wertung am Sonntag führt der Cottbuser bei den Sprintern. »Doktor Labs in Berlin hat gute Arbeit geleistet. Ich konnte mit sieben Schrauben im Schlüsselbein voll Gas geben«, schien der 29-jährige Levy mit sich und der Welt zufrieden. Bei den Frauen zeigte die dänische Straßenradweltmeisterin Amalie Dideriksen am Sonntag, wo die Weltspitze fährt. Sie gewann das 10-Kilometer-Rennen vor der Engländerin Kati Archibald.

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