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Forscher: »Parteien verfestigen die soziale Ungleichheit«

Elmar Wiesendahl: Ein Viertel der deutschen Bevölkerung abgehängt - Parteien zielen aber vor allem auf Bessergestellte

  • Lesedauer: 2 Min.

Hamburg. Die Parteien in Deutschland sorgen nach Ansicht des Parteienforschers Elmar Wiesendahl nicht dafür, dass sich die Ungleichheit reduziert. »Momentan verfestigen die Parteien die soziale Ungleichheit«, sagte Wiesendahl dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Sie haben alle viel zu sehr die Interessen der Bessergestellten im Fokus.« Dabei sei die Ungleichheit in den vergangenen Jahren gewachsen. »Nach den goldenen Jahrzehnten des Wirtschaftswunders folgte in den 1980er Jahren ein epochaler Wandel, Massenarbeitslosigkeit entstand. Inzwischen hat sich diese Entwicklung durch die Globalisierung und den Aufstieg des Finanzkapitalismus verschärft.« Ein Viertel der Bevölkerung sei abgehängt. »Die Parteien spiegeln das aber nicht wider«, kritisierte Wiesendahl, der an der Universität der Bundeswehr in München Politikwissenschaft lehrte und ein Buch zum Thema herausgegeben hat.

Die Parteien griffen das Thema unter dem Schlagwort der sozialen Gerechtigkeit zwar auf, fügte Wiesendahl hinzu. »Aber die Debatte darüber ist sehr abstrakt - sie erreicht gar nicht die Prekarisierten.« Die Regierungen hätten in den vergangenen Jahren eine immer weiter spaltende Politik betrieben, die SPD zum Beispiel mit den Reformen der Agenda 2010, sagte Wiesendahl, der zum Team der Agentur für politische Strategie (APOS) in Hamburg gehört.

Inzwischen sei eine neue Unterklasse entstanden, die die Politik nicht mehr erreiche. Die Parteien orientierten sich alle an der Mittelschicht, weil dort angeblich die Mehrheit der Stimmen zu holen sei. »Man kann zugespitzt sagen: Alle Parteien zielen auf denselben Wähler, den sie für sich gewinnen wollen«, erläuterte Wiesendahl.

Schließlich trage auch das Verhalten der abgehängten Menschen zu der Distanz bei. »Sie geraten in einen Teufelskreis aus sozialem Abstieg und sozialer Isolation«, sagte Wiesendahl. »Sie schließen sich selbst aus, sie engagieren sich nicht politisch und gehen noch nicht einmal wählen. Sie leben in einer Parallelwelt.« Eine »halbierte Demokratie« sei entstanden: »Die eine Hälfte der Gesellschaft vertritt ihre Interessen und ist durch Repräsentanten vertreten. Die andere Hälfte ist abgehängt.«

Wiesendahl forderte, die Parteien müssten aufhören, allesamt ausschließlich auf die bessergestellte Mittelschicht zu zielen. »Aber das ist unrealistisch: Sie vermuten ja, dass sie nur auf diese Weise die Mehrheit bei Wahlen gewinnen können«, schränkte er ein. Deshalb seien die Abgehängten gefragt: »Aus ihrer Mitte heraus müssten Gruppen entstehen, die ihre Probleme thematisieren«, sagte Wiesendahl. »Wenn sie sich weiter abschotten, droht der völlige Zerfall des Zusammenhalts der Gesellschaft.« epd/nd

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