Flotte Knobelei

»Noch mal!« erzeugt Recheneuphorie

  • Lesedauer: 4 Min.

Mathematik zählt für die meisten Leute nicht wirklich zu den Lieblingsfächern. Trotzdem hat sich das neue Schmidt-Spiel »Noch mal!« - bei dem es um Zahlen und blitzschnelles Rechnen geht - ohne Übertreibung zu einem veritablen Partyhit entwickelt.

Das liegt wahrscheinlich an einem wesentlichen Element des Konzepts: Man muss nicht rechnen, sondern Kästchen abzählen. Und Ankreuzen kennen wir vom Lotto, das kriegt jeder hin.

Woher rührt diese weit verbreitete Scheu vor Zahlen?

Die Zahlen als solche sind wohl weniger das Problem, wie etwa die Beliebtheit von Sudoku ja beweist. Es ist okay, in der Freizeit ein bisschen nachzudenken. Bloß rechnen will keiner, weil das als »Arbeit« empfunden wird. Und: Viele Menschen möchten wohl nicht an Schule und Mathematikunterricht erinnert werden.

Bei »Noch mal!« würfeln die Teilnehmer einerseits. Andererseits müssen sie Zahlenkästchen markieren, was Planung und Akribie verlangt. Steckt in der Kombination dieser beiden unterschiedlichen Spielprinzipien nicht ein grundsätzlicher Widerspruch?

Aber gerade das begründet den speziellen Reiz: aus einem durch Zufall bestimmten Wurf das Beste zu machen. Und wenn ich gewinne, kann ich sagen, dass ich eben ziemlich schlau gespielt habe. Während ich ebenso schlicht Pech reklamieren kann, sofern die Sache trotzdem schief gelaufen ist. Und obendrein darf ich mich im Verlauf des Spiels über die Würfel aufregen oder freuen. Schließlich sind Emotionen, in welche Richtung die auch gehen mögen, immer gut, oder?

Viele Spieldesigner halten Würfel für unverzichtbar. Warum eigentlich?

Das Zufallselement garantiert, dass keine Partie der anderen gleicht und die Matches stets unterhaltsam bleiben. Die Unsicherheit, was der nächste Würfelwurf wohl bringen mag, lässt die Spannung niemals absinken.

Auffällig auf Fachmessen: Strategische Spiele scheinen eher Nischenprodukte zu sein. Wollen die Fans partout keine Verantwortung übernehmen, falls sie gelegentlich oder häufig ein Match vergeigen, ist Würfeln also beliebter, weil man sich da nie strategisches Versagen eingestehen muss?

Das dürfte tatsächlich der psychologische Hintergrund dafür sein, dass Spiele, die den Teilnehmern eine elegante Ausrede für gefühlt eigenes »Versagen« liefern, beim Publikum gut ankommen. Die Menschen möchten sich eine Auszeit vom Druck des Arbeitsalltags nehmen: konsequent abschalten und einfach wieder Kind sein. Ohne anderen etwas beweisen zu müssen.

Gönnen Sie sich selbst auch ab und an Auszeit mit einer Runde »Noch mal!«?

Oh ja! Das ist, seit wir es haben, längst mein absoluter Favorit. Ich habe das inzwischen viele Dutzend Male gespielt, und zwar bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten: auf dem Flughafen, um die Wartezeit zu verkürzen, nach dem Job zum Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub. Auf diese Weise entspanne ich ganz wunderbar. Die Regeln sind ja recht einfach, ich kann mich ohne Umwege und völlig locker auf das Spiel einlassen.

»Noch mal!« ist also weit mehr als nur Gedaddel, doch wie hoch ist der Glücksfaktoranteil für den Sieg?

Meine persönliche Bilanz: Ich gewinne häufiger, als dass ich verliere, und dies, obwohl ich kein ausgesprochener Glückspilz bin. Zweifellos sind die Teilnehmer einer Runde in einem gewissen Maß dem Zufall ausgeliefert. Gleichzeitig stehen die Kandidaten jedoch regelmäßig vor der Entscheidung, in die eine oder andere Richtung zu gehen, und das kann eine Partie voranbringen oder kippen. Übermäßig verkopft ist die Sache nicht, aber flottes Knobeln ist unbedingt angesagt.

Eine erfolgreiche Strategie scheint zu sein, die gewürfelten Zahlen weiträumig über das Spielblatt zu verteilen. Das erinnert an die Auftaktphase beim Go. Könnte man also »Noch mal!« mit einer Art Go vergleichen, nur mit Würfeln und Zahlen?

Vielleicht im weitesten Sinne. Unbedingt sollten sich die Spieler gut ausbreiten, das schafft viele potenzielle Berührungspunkte für nachfolgende Zahlenmarkierungen. Wichtig ist aber zugleich, die Konkurrenz nicht aus den Augen zu verlieren. Denn kümmere ich mich nicht gleichzeitig darum, den Sack zuzumachen und akribisch Spalten zu komplettieren, sind meine Mitspieler schneller und räumen die Punkte ab.

Mit »Noch mal!« scheint einsame Zahlenfrickelei, wie etwa beim Sudoku, echt gesellschaftsspielfähig zu werden.

Genau, das ist seine Stärke: Menschen versammeln sich an einem Tisch, kommunizieren und haben alle Spaß.

Vielleicht ist die Zukunft des Mathestandorts Deutschland doch nicht generell gefährdet.

Ernsthafte Sorgen müssen wir uns nicht machen, denke ich.

Würfelspiel »Noch mal!«, Verlag Schmidt Spiele, Preis ca. 12 Euro; weitere Infos: www.schmidtspiele.de

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