Martin Schulz: Schröders guter Freund

Mit dem Kanzlerkandidaten dominiert weiter der konservative Flügel die SPD

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Er ist etwa bei der Hälfte seiner Rede angekommen, als Martin Schulz die Stimme senkt. Der designierte Kanzlerkandidat der SPD schaut mit gerunzelter Stirn in das völlig überfüllte Atrium des Berliner Willy-Brandt-Hauses. »Viele werden mich kennen. Ich bin ein Sohn einfacher Leute«, sagt Schulz. In seiner Jugendzeit habe er mehr Zeit auf dem Fußballplatz als in der Schule verbracht. Dann sei er »vom Weg abgekommen«. Damit meint Schulz seine bereits vor Jahren überwundene Alkoholsucht. Freunde hätten ihn wieder aufgerichtet. Daraufhin habe er eine Ausbildung zum Buchhändler absolviert und Politik auf kommunaler Ebene als Bürgermeister im nordrhein-westfälischen Städtchen Würselen »von der Pike auf gelernt«. »Ich schäme mich nicht dafür, dass ich kein Abitur habe und aus der Provinz komme«, ruft Schulz auf einmal laut in den Saal. Gerade wegen seiner Biografie könne er die Alltagssorgen der »einfachen Leute« nachempfinden. An dieser Stelle wird die Rede des SPD-Politikers von tosendem Applaus unterbrochen.

Die Betonung seiner Aufstiegsgeschichte ist ein wichtiger Aspekt im Wahlkampf des 61-Jährigen. Mit ihm an der Spitze glaubt die SPD, wieder verstärkt Menschen aus Arbeitermilieus ansprechen zu können. Das überzeugt die Parteispitze, obwohl Schulz ansonsten kein großer Redner ist und nicht selten auf sein Skript schauen muss. Am Sonntag stimmt der Parteivorstand im Rahmen einer Klausurtagung einstimmig dafür, dass Schulz zum Kanzlerkandidaten nominiert werden und den Parteivorsitz von seinem Freund Sigmar Gabriel übernehmen soll, der kürzlich ins Außenamt gewechselt ist. Das letzte Wort wird ein Parteitag haben.

Schulz wirkt allein schon wegen seines rheinländischen Dialekts authentisch. Allerdings sind Zweifel daran angebracht, dass die weniger gut bezahlten und die prekär beschäftigten Arbeiter und Angestellten auf den neuen Spitzengenossen zählen können. Während seiner etwa einstündigen Rede verspricht Schulz zwar wolkig bezahlbare Mieten, eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, den Kampf für höhere Löhne und gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit für Männer und Frauen, aber ein Parteilinker ist der designierte SPD-Chef keineswegs.

Vielmehr lobt er die bisherige Arbeit seiner Partei in der Großen Koalition mit der Union über den grünen Klee. Dabei hebt Schulz auch den Mindestlohn hervor, obwohl dieser zu niedrig und mit zu vielen Ausnahmen versehen ist, um effektiv gegen Armut zu wirken. Trotz seines Engagements für mehr Überwachung durch die Vorratsdatenspeicherung bezeichnet der Europapolitiker zudem seinen Parteikollegen, den Justizminister Heiko Maas, als Wahrer der Bürgerrechte.

Schulz hat seit 1994 im Europaparlament gesessen, im Willy-Brandt-Haus ist er aber kein Unbekannter. In den Führungsgremien auf Bundesebene ist Schulz seit vielen Jahren eingebunden. Seit 1999 ist er Teil des Parteivorstandes und Präsidiumsmitglied. In dieser Funktion hat er auch die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder miterlebt. Dem früheren Kanzler fühlt sich Schulz noch immer verbunden. Als die beiden vor drei Jahren bei der Vorstellung eines Interviewbuchs über Schröder gemeinsam auftraten, bezeichnete Schulz seinen Genossen, der in dem Buch unter anderem die neoliberale Agenda 2010 und die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien verteidigte, als »großen Staatsmann«. Schulz ist nach eigenen Worten ein »frog«. Das sollte in diesem Zusammenhang nicht »Frosch« bedeuten, sondern ist eine Abkürzung für »friend of Gerhard Schröder«.

In der Berliner Parteizentrale lobt Schulz erneut den im linken Flügel der SPD umstrittenen Schröder. Dessen Kanzlerschaft hätte ebenso wie die von Willy Brandt und Helmut Schmidt »Deutschland gut getan«. Deswegen sei es nun an der Zeit, dass endlich wieder ein Sozialdemokrat das Amt des Regierungschefs übernehme, verkündet Schulz. Seine Partei müsse den Anspruch haben, bei der Bundestagswahl im September stärkste Kraft zu werden.

Doch davon ist die SPD derzeit weit entfernt. In den Umfragen hat sie von ihrem angestrebten Personalwechsel bisher nur leicht profitiert. Sie kommt jetzt nicht mehr auf 20 bis 21 Prozent, sondern auf 23 bis 24 Prozent der Stimmen. Die Union liegt 12 bis 14 Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten. Wenn das Mitte-links-Lager deutlich hinzugewinnen würde, wäre Rot-Rot-Grün die einzige Machtperspektive für die SPD. Aber darüber verliert Schulz kein Wort. Zuversicht sollen an diesem Tag neben dem Lächeln des designierten Kanzlerkandidaten offenbar der auf Rednerpult und Bildschirmen aufleuchtende Slogan »Zeit für mehr Gerechtigkeit« sowie ein zwischendurch eingespielter Imagefilm mit glücklichen Familien und zufriedenen Angestellten in der IT-Branche und in Krankenhäusern ausstrahlen.

Schulz ist als Mann der Großen Koalition bekannt. Ebenso wie in der Bundesrepublik geben auch auf europäischer Ebene die stärkeren Konservativen und die schwächeren Sozialdemokraten gemeinsam den Ton an. Im Europaparlament hat Schulz bestens mit Jean-Claude Juncker zusammengearbeitet, der seit November 2014 als Präsident die Europäische Kommission leitet. Der Luxemburger war von dem Sozialdemokraten an der Spitze des EU-Parlaments so überzeugt, dass er ihn auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode gerne in diesem Amt gesehen hätte. Damit hatte sich Juncker gegen die eigene konservative EVP gestellt, der dieser Posten turnusmäßig zustand. Letztlich konnte sich der Kommissionschef nicht durchsetzen und musste Schulz nach Berlin ziehen lassen.

Die Freundschaft von Juncker und Schulz hatte sich während der griechischen »Krisenpolitik« gefestigt. Die Europapolitiker warben vor dem Referendum über das Spardiktat in Griechenland im Sommer 2015 vergeblich dafür, dass die Bevölkerung gegen ihre eigene Regierung unter Führung der Linkspartei SYRIZA stimmen sollte. Schulz hatte das Referendum sogar als »manipulativ« bezeichnet. Obwohl die Griechen gegen Sparmaßnahmen und Sozialabbau votierten, konnte diese Politik unter anderem auf Druck der EU-Kommission doch noch weitgehend durchgesetzt werden.

Das hindert Schulz nun nicht daran, vor seinen eigenen Anhängern »neoliberale Sparpolitik« als Fehler zu verurteilen. Diese sei in der Bundesrepublik zulasten der Polizei gegangen. Stattdessen verspricht Schulz nun Investitionen. Diese sollen hauptsächlich in Bildung und in die Infrastruktur fließen. Am Ende seiner Rede klatschen auch die linken Vertreter des Parteivorstands enthusiastisch. Schulz ist so vage geblieben, dass er es sich noch mit niemandem in der SPD verscherzt hat.

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