Er war keinesfalls nur ein kleiner Untergebener

Gabriel Bach über Adolf Eichmann, die Organisation des Holocaust und den Prozess in Jerusalem

Ein unheimlicher Ort mit unheimlichem Wetter. Norbert Kampe, Leiter der Gedenkstätte Haus der Wannseekonfernz, äußerte die Vermutung, ob Adolf Eichmann dieses Unwetter aus der Höller geschickt habe. Und auch der israelische Gast, Gabriel Bach, meinte, dem Juden-Mörder sei es wohl gelungen, sich in der Hierarchie der Unterwelt über Lucifer zu erheben. Am Vorabend des 65. Jahrestages der Wannsee-Konferenz hat die Gedenkstätte zu einem Gespräch mit dem stellvertretenden Ankläger im Eichmann-Prozess 1961 geladen. Es war der Abend, an dem Orkan »Kyrill« über Deutschland tobte, weshalb die Veranstaltung vom großen Zelt im Garten in das kleine Speisezimmer der Villa verlegt werden musste. Dort hatte am 20. Januar 1942 die Konferenz stattgefunden, auf der der Mord an den europäischen Juden von NS-Funktionären und Wirtschaftsfachleuten besprochen worden ist. Mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Israels sprach Martin Lejeune.

ND: Weshalb konnten sich ausgerechnet im Kulturland Deutschland die Täter für den Völkermord an den europäischen Juden finden?
Bach: Ehrlich gesagt, ich kann ich es nicht erklären. Was da geschehen ist, ist irgendwie mysteriös. Alle Erklärungen sind immer nur Teilerklärungen. Bis zum Alter von elf Jahren lebte ich in Deutschland. Ich habe manchmal Hitler-Reden gehört und die hysterischen Reaktionen gesehen. Da konnte ich noch verstehen, dass Menschen unter dem Einfluss einer solchen Rede Dinge tun, die sie sonst nicht tun würden. Während des Eichmann-Prozesses 1961 habe ich diese Beobachtung aber nicht vorgebracht, weil sie für die Beurteilung von Eichmann nicht direkt relevant war.

Was war da relevant?
Die Dokumente. Für den Prozess haben wir Tausende von Dokumenten durchgesehen. Und ich stieß auf Fakten, die mich nicht weniger erregten als die Grausamkeiten in den Konzentrationslagern. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen:
Beim Studium von Dokumenten des Gesundheitsministeriums stieß ich auf einen schockierenden Brief, den ein Staatssekretär des Ministeriums, ein Arzt, ein Mann mit einer Universitätsbildung, an seinen Minister geschrieben hatte, und zwar nicht unter dem Einfluss einer Hitler-Rede, sondern in der Stille seines Büros, am Schreibtisch. Es gab damals - so wie es heute Blutbanken gibt - Milchbanken. Mütter, die zuviel Milch hatten oder deren Kinder gestorben waren, konnten ihre Muttermilch jenen spenden, die keine hatten. Dieser Mann nun also schrieb, dass eine Frau, die Milch gespendet hatte, nicht mitgeteilt habe, dass sie eine jüdische Großmutter hatte, also eine Vierteljüdin sei. Sein erster Gedanke sei gewesen, so der Staatssekretär, diese »infame Frau« in einem Schauprozess anzuklagen. Doch dann habe er sich überlegt, dass dies ja ungeheuer erschreckend wirken würde auf alle arischen Mütter, die ja nun glauben könnten, dass ihre Kinder von deren Milch vergiftet worden seien. Deshalb soll diese Frau in ein Konzentrationslager verschwinden, ohne dass man je wieder von ihr hört.

Eichmann beharrte während des Prozesses auf seine Unschuld, er habe nur auf Befehl von Vorgesetzten gehandelt. Wie reagierten Sie darauf?
Es war ein Teil seiner Verteidigung, immer wieder zu beteuern, er sei ganz unwichtig gewesen. Er war nicht unwichtig. Er hat nicht nur das Protokoll der Wannsee-Konferenz geführt, er hat diese Konferenz zusammen mit Heydrich geleitet. Sicher, Heydrich war sein Vorgesetzter und eine noch bedeutendere Person in der Nazi-Hierarchie. Aber Heydrich hat sich zum großen Teil auf Eichmann verlassen, was alle Einzelheiten der Organisierung des Massenmords anbetraf.
Eichmann selbst erzählte uns, wie er mit Heydrich alles abgesprochen hatte und dass er und Heydrich am Vorabend der Konferenz sehr besorgt waren, weil einige von den eingeladenen Staatssekretären Juristen waren. Die beiden befürchteten, dass sie Einspruch erheben oder Kritik üben können, wenn sie hören, wie in Koordination mit diversen Ministerien die Ermordung unschuldiger Menschen, Männer, Frauen und Kinder vonstatten gehen sollte.

Die Juristen erhoben aber keinen Einspruch.
So ist es. Eichmann erzählte uns, wie erleichtert er und Heydrich nach der Konferenz waren, dass alles so harmonisch abgelaufen ist. Außer logistischen Nachfragen gab es keine Kritik, keinen Widerspruch. Eichmann und Heydrich setzten sich anschließend vor den Kamin und tranken einen Schnaps, gratulieren sich, feierten ihren Erfolg.

Sie konnten Eichmanns Schuld mit seiner Handschrift auf vielen Dokumenten nachweisen.
Ja, aber auch dann hat er noch behauptet, er habe nur Befehle bekommen. Und wenn einer seiner Adjutanten etwas gemacht habe, dann auf eigene Faust, ohne seine Einwilligung. Da gibt es beispielsweise eine Notiz von Eichmann, dass sein Stellvertreter, Rolf Günter, Gas bestellt hat. Bei den Voruntersuchungen bat ich einen Polizeioffizier, Eichmann die Unterlagen, in denen sich auch diese Notiz befand, durchsehen zu lassen, ohne ihn auf die Notiz explizit aufmerksam zu machen. Ich wusste, dass Eichmann klug genug ist, um zu wissen, woran wir interessiert waren. Wir haben ihn dann gefragt, ob er eine Bemerkung zu den Papieren machen wolle? Darauf antwortete er: »Nein.« Dann habe ich ihn fragen lassen, ob seine Adjutanten auch einmal etwas auf eigene Faust gemacht haben. Nun entgegnete er, dass sie dies an sich nicht tun sollten. Aber da sei mal eine Gas-Geschichte gewesen und da habe er gehört, dass sein Stellvertreter, der Günter, etwas bestellt habe. Er habe ihn gefragt: »Hör mal, wieso hast Du das gemacht, was hat das mit uns zu tun?« Uns war klar, dass sein Stellvertreter nicht ohne sein Wissen Millionen Liter Gas ordern würde. Und das kam schließlich auch heraus. Unsere Frage, ob er den Günter daraufhin wenigstens vor ein Disziplinarverfahren gestellt hat, verneinte Eichmann, womit er indirekt bestätigte, dass er mit dieser Geschichte etwas zu tun hatte.

Gab es noch andere Beweise für seine bedeutende Rolle beim systematischen Mord an den europäischen Juden?
In der Gestapo gab es viele Referate. Jede Abteilung hatte ihren Referenten, und die wurden in einem Rotationsverfahren ständig ausgetauscht, besonders während des Krieges. Der einzige Referent, der den ganzen Krieg über auf seinem Posten blieb, war Eichmann als Leiter des Referat IV B 4 für Räumungs- und Judenangelegenheiten. Und auf vielen Dokumenten war zu lesen: »Operation Eichmann«.

Mit wie viel Elan verteidigten die beiden Anwälte von Eichmann ihren Mandanten?
Beide waren meiner Meinung nach hervorragende Anwälte, die im Prozess mit großer Fairness aufgetreten sind. Sie haben sich nicht mit dem Angeklagten identifiziert. Aber, was die juristische Seite anbelangt, haben sie jede sich bietende Möglichkeit genutzt, die ihren Mandanten eventuell hätte entlasten könnne. Wir hatten ein sehr korrektes und nettes Verhältnis miteinander. Der ältere Verteidiger, Robert Servatius, lebt nicht mehr. Der jüngere, Dieter Wächtenbruch, kam voriges Jahr nach einer Veranstaltung in Nürnberg auf mich zu und lud mich in sein Haus nach München ein. Er hat mir die ganze Gegend um München gezeigt, wir sind uns nach 45 Jahren erstmals wiederbegegnet.

In Ihre beinahe 30-jährige Amtszeit als Generalstaatsanwalt und später dann als Oberster Richter Israels fiel auch die Besetzung palästinensischer Gebiete. Wie sehr haben sich in Ihrer Tätigkeit Recht und Politik vermischt?
Es gab einige Fälle in den besetzten Gebieten, bei denen ich als Generalstaatsanwalt mich verpflichtet fühlte, unserer Regierung mitzuteilen, dass ich nicht bereit bin, sie zu verteidigen. Und zwar jedes Mal, wenn ich der Meinung war, dass etwas nach den Regeln des internationalen Rechts oder nach moralischen Kritierien nicht zu rechtfertigen sei. Der Premierminister hat dann auch jedesmal beschlossen, die entsprechende Entscheidung zu ändern - wenn auch erst nach Diskussionen. Und als Richter habe ich dann auch nach 1992 beschlossen, dass es möglich ist, Gesetze wieder aufzuheben und für ungültig zu erklären, wenn sie gegen gewissse Normen von Grundgesetzen verstoßen, auch wenn diese Gesetze rechtsgültig verabschiedet wurden. Dass wir als Gericht erklärt haben, wir hätten das Recht, Gesetze aufzuheben, war eine sehr, sehr wichtige Entscheidung für Israel, die sich auch politisch auswirkte.

Wenn Sie heute davon hören, dass in Deutschland Anschläge auf Ausländer und auch auf Juden verübt werden, haben Sie dann das Gefühl, dass so etwas wie in der Vergangenheit wieder passsieren kann?
Ich bin ein heilloser Optimist, und ich hoffe, es auch zu bleiben. Wichtig aber ist, dass wir das, was wir durch unsere Medien über solche Vorfälle in Deutschland hören, auch von den deutschen Medien mitgeteilt bekommen. Und, dass die deutschen Medien ebenso von Reaktionen und Demonstrationen gegen diese Geschehnisse berichten. Ich erinnere mich, dass es in den 30er Jahren, als ich noch in Deutschland war, keinerlei Widerstand gegen solche Untaten gab. Es genügt nicht, dass die deutsche Öffentlichkeit, die deutsche Jugend, solche Vorkommnisse heute ablehnt, sondern sie muss auch aktiv alles dagegen tun, um eine Ausbreitung, um eine Entwicklung in eine negative Richtung zu verhindern. Ich bin oller Hoffnung, dass die Deutschen den Willen und die Möglichkeiten haben, mit diesen Problemen fertig zu werden.

Gabriel Bach, 1927 in Halberstadt geboren, in Berlin zur Schule gegangen, flüchtete mit seiner Familie 1938 nach Holland, zwei Wochen vor dem Novemberpogrom. 1940 wanderte die Familie nach Palästina aus, einen Monat vor dem deutschen Überfall auf die Benelux-Staaten. Später erfuhr Bach, dass die Armee den Einmarsch nach Holland zwischen dem September 1939 und März 1940 sieben Mal verschoben hatte. Und er erfuhr, dass er der einzige Überlebende seiner Schule in Holland ist. Am Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 wirkte er nicht nur als stellvertretender Ankläger mit, bei der Voruntersuchung beriet er das Polizeibüro juristisch. 1969 wurde Bach Generalstaatsanwalt (für 13 Jahre); anschließend war er (bis 1997) Oberrichter am höchsten Gericht Israels.ND: Weshalb konnten sich ausgerechnet im Kulturland Deutschland die Täter für den Völkermord an den europäischen Juden finden?
Bach: Ehrlich gesagt, ich kann ich es nicht erklären. Was da geschehen ist, ist irgendwie mysteriös. Alle Erklärungen sind immer nur Teilerklärungen. Bis zum Alter von elf Jahren lebte ich in Deutschland. Ich habe manchmal Hitler-Reden gehört und die hysterischen Reaktionen gesehen. Da konnte ich noch verstehen, dass Menschen unter dem Einfluss einer solchen Rede Dinge tun, die sie sonst nicht tun würden. Während des Eichmann-Prozesses 1961 habe ich diese Beobachtung aber nicht vorgebracht, weil sie für die Beurteilung von Eichmann nicht direkt relevant war.

Was war da relevant?
Die Dokumente. Für den Prozess haben wir Tausende von Dokumenten durchgesehen. Und ich stieß auf Fakten, die mich nicht weniger erregten als die Grausamkeiten in den Konzentrationslagern. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen:
Beim Studium von Dokumenten des Gesundheitsministeriums stieß ich auf einen schockierenden Brief, den ein Staatssekretär des Ministeriums, ein Arzt, ein Mann mit einer Universitätsbildung, an seinen Minister geschrieben hatte, und zwar nicht unter dem Einfluss einer Hitler-Rede, sondern in der Stille seines Büros, am Schreibtisch. Es gab damals - so wie es heute Blutbanken gibt - Milchbanken. Mütter, die zuviel Milch hatten oder deren Kinder gestorben waren, konnten ihre Muttermilch jenen spenden, die keine hatten. Dieser Mann nun also schrieb, dass eine Frau, die Milch gespendet hatte, nicht mitgeteilt habe, dass sie eine jüdische Großmutter hatte, also eine Vierteljüdin sei. Sein erster Gedanke sei gewesen, so der Staatssekretär, diese »infame Frau« in einem Schauprozess anzuklagen. Doch dann habe er sich überlegt, dass dies ja ungeheuer erschreckend wirken würde auf alle arischen Mütter, die ja nun glauben könnten, dass ihre Kinder von deren Milch vergiftet worden seien. Deshalb soll diese Frau in ein Konzentrationslager verschwinden, ohne dass man je wieder von ihr hört.

Eichmann beharrte während des Prozesses auf seine Unschuld, er habe nur auf Befehl von Vorgesetzten gehandelt. Wie reagierten Sie darauf?
Es war ein Teil seiner Verteidigung, immer wieder zu beteuern, er sei ganz unwichtig gewesen. Er war nicht unwichtig. Er hat nicht nur das Protokoll der Wannsee-Konferenz geführt, er hat diese Konferenz zusammen mit Heydrich geleitet. Sicher, Heydrich war sein Vorgesetzter und eine noch bedeutendere Person in der Nazi-Hierarchie. Aber Heydrich hat sich zum großen Teil auf Eichmann verlassen, was alle Einzelheiten der Organisierung des Massenmords anbetraf.
Eichmann selbst erzählte uns, wie er mit Heydrich alles abgesprochen hatte und dass er und Heydrich am Vorabend der Konferenz sehr besorgt waren, weil einige von den eingeladenen Staatssekretären Juristen waren. Die beiden befürchteten, dass sie Einspruch erheben oder Kritik üben können, wenn sie hören, wie in Koordination mit diversen Ministerien die Ermordung unschuldiger Menschen, Männer, Frauen und Kinder vonstatten gehen sollte.

Die Juristen erhoben aber keinen Einspruch.
So ist es. Eichmann erzählte uns, wie erleichtert er und Heydrich nach der Konferenz waren, dass alles so harmonisch abgelaufen ist. Außer logistischen Nachfragen gab es keine Kritik, keinen Widerspruch. Eichmann und Heydrich setzten sich anschließend vor den Kamin und tranken einen Schnaps, gratulieren sich, feierten ihren Erfolg.

Sie konnten Eichmanns Schuld mit seiner Handschrift auf vielen Dokumenten nachweisen.
Ja, aber auch dann hat er noch behauptet, er habe nur Befehle bekommen. Und wenn einer seiner Adjutanten etwas gemacht habe, dann auf eigene Faust, ohne seine Einwilligung. Da gibt es beispielsweise eine Notiz von Eichmann, dass sein Stellvertreter, Rolf Günter, Gas bestellt hat. Bei den Voruntersuchungen bat ich einen Polizeioffizier, Eichmann die Unterlagen, in denen sich auch diese Notiz befand, durchsehen zu lassen, ohne ihn auf die Notiz explizit aufmerksam zu machen. Ich wusste, dass Eichmann klug genug ist, um zu wissen, woran wir interessiert waren. Wir haben ihn dann gefragt, ob er eine Bemerkung zu den Papieren machen wolle? Darauf antwortete er: »Nein.« Dann habe ich ihn fragen lassen, ob seine Adjutanten auch einmal etwas auf eigene Faust gemacht haben. Nun entgegnete er, dass sie dies an sich nicht tun sollten. Aber da sei mal eine Gas-Geschichte gewesen und da habe er gehört, dass sein Stellvertreter, der Günter, etwas bestellt habe. Er habe ihn gefragt: »Hör mal, wieso hast Du das gemacht, was hat das mit uns zu tun?« Uns war klar, dass sein Stellvertreter nicht ohne sein Wissen Millionen Liter Gas ordern würde. Und das kam schließlich auch heraus. Unsere Frage, ob er den Günter daraufhin wenigstens vor ein Disziplinarverfahren gestellt hat, verneinte Eichmann, womit er indirekt bestätigte, dass er mit dieser Geschichte etwas zu tun hatte.

Gab es noch andere Beweise für seine bedeutende Rolle beim systematischen Mord an den europäischen Juden?
In der Gestapo gab es viele Referate. Jede Abteilung hatte ihren Referenten, und die wurden in einem Rotationsverfahren ständig ausgetauscht, besonders während des Krieges. Der einzige Referent, der den ganzen Krieg über auf seinem Posten blieb, war Eichmann als Leiter des Referat IV B 4 für Räumungs- und Judenangelegenheiten. Und auf vielen Dokumenten war zu lesen: »Operation Eichmann«.

Mit wie viel Elan verteidigten die beiden Anwälte von Eichmann ihren Mandanten?
Beide waren meiner Meinung nach hervorragende Anwälte, die im Prozess mit großer Fairness aufgetreten sind. Sie haben sich nicht mit dem Angeklagten identifiziert. Aber, was die juristische Seite anbelangt, haben sie jede sich bietende Möglichkeit genutzt, die ihren Mandanten eventuell hätte entlasten könnne. Wir hatten ein sehr korrektes und nettes Verhältnis miteinander. Der ältere Verteidiger, Robert Servatius, lebt nicht mehr. Der jüngere, Dieter Wächtenbruch, kam voriges Jahr nach einer Veranstaltung in Nürnberg auf mich zu und lud mich in sein Haus nach München ein. Er hat mir die ganze Gegend um München gezeigt, wir sind uns nach 45 Jahren erstmals wiederbegegnet.

In Ihre beinahe 30-jährige Amtszeit als Generalstaatsanwalt und später dann als Oberster Richter Israels fiel auch die Besetzung palästinensischer Gebiete. Wie sehr haben sich in Ihrer Tätigkeit Recht und Politik vermischt?
Es gab einige Fälle in den besetzten Gebieten, bei denen ich als Generalstaatsanwalt mich verpflichtet fühlte, unserer Regierung mitzuteilen, dass ich nicht bereit bin, sie zu verteidigen. Und zwar jedes Mal, wenn ich der Meinung war, dass etwas nach den Regeln des internationalen Rechts oder nach moralischen Kritierien nicht zu rechtfertigen sei. Der Premierminister hat dann auch jedesmal beschlossen, die entsprechende Entscheidung zu ändern - wenn auch erst nach Diskussionen. Und als Richter habe ich dann auch nach 1992 beschlossen, dass es möglich ist, Gesetze wieder aufzuheben und für ungültig zu erklären, wenn sie gegen gewissse Normen von Grundgesetzen verstoßen, auch wenn diese Gesetze rechtsgültig verabschiedet wurden. Dass wir als Gericht erklärt haben, wir hätten das Recht, Gesetze aufzuheben, war eine sehr, sehr wichtige Entscheidung für Israel, die sich auch politisch auswirkte.

Wenn Sie heute davon hören, dass in Deutschland Anschläge auf Ausländer und auch auf Juden verübt werden, haben Sie dann das Gefühl, dass so etwas wie in der Vergangenheit wieder passsieren kann?
Ich bin ein heilloser Optimist, und ich hoffe, es auch zu bleiben. Wichtig aber ist, dass wir das, was wir durch unsere Medien über solche Vorfälle in Deutschland hören, auch von den deutschen Medien mitgeteilt bekommen. Und, dass die deutschen Medien ebenso von Reaktionen und Demonstrationen gegen diese Geschehnisse berichten. Ich erinnere mich, dass es in den 30er Jahren, als ich noch in Deutschland war, keinerlei Widerstand gegen solche Untaten gab. Es genügt nicht, dass die deutsche Öffentlichkeit, die deutsche Jugend, solche Vorkommnisse heute ablehnt, sondern sie muss auch aktiv alles dagegen tun, um eine Ausbreitung, um eine Entwicklung in eine negative Richtung zu verhindern. Ich bin oller Hoffnung, dass die Deutschen den Willen und die Möglichkeiten haben, mit diesen Problemen fertig zu werden.

Gabriel Bach, 1927 in Halberstadt geboren, in Berlin zur Schule gegangen, flüchtete mit seiner Familie 1938 nach Holland, zwei Wochen vor dem Novemberpogrom. 1940 wanderte die Familie nach Palästina aus, einen Monat vor dem deutschen Überfall auf die Benelux-Staaten. Später erfuhr Bach, dass die Armee den Einmarsch nach Holland zwischen dem September 1939 und März 1940 sieben Mal verschoben hatte. Und er erfuhr, dass er der einzige Überlebende seiner Schule in Holland ist. Am Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 wirkte er nicht nur als stellvertretender Ankläger mit, bei der Voruntersuchung beriet er das Polizeibüro juristisch. 1969 wurde Bach Generalstaatsanwalt (für 13 Jahre); anschließend war er (bis 1997) Oberrichter am höchsten Gericht Israels.

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