Beitragsgelder für Strafzinsen

Ersatzkassen fordern im Wahljahr gerechtere Gesundheitsfinanzierung von der Politik

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Morbi-RSA, Reserven des Gesundheitsfonds, Zusatzbeiträge - an diesen Stellschrauben wollen die Ersatzkrankenkassen drehen, um ihre Finanzierung langfristig zu sichern. Entsprechende politische Forderungen brachten sie am Mittwoch in Berlin zu Gehör, mit deutlichem Bezug zu den kommenden Bundestagswahlen.

Eine gerechte Verteilung der Gesundheitskosten sieht Ulrike Elsner, Vorstand des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (vdek) vor allem durch den »morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich« (Morbi-RSA) gefährdet. Das Wortungetüm steht für einen Mechanismus, der ursprünglich dazu geschaffen wurde, Nachteile für Krankenkassen mit besonders vielen sehr kranken Versicherten auszugleichen. Inzwischen führe das aber zu Wettbewerbsverzerrungen, so Elsner. Bei den Ersatzkassen kam es 2015 zu einer Unterdeckung von 644 Millionen Euro, während die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) eine Überdeckung von einer Milliarde Euro erreichten. Die Ursache dafür sei in der besseren Versorgung der eigenen Versicherten zu sehen, die eher in Städten mit vielen Ärzten und Kliniken lebten, während AOK-Versicherte in ländlichen Bereichen ein so großes Angebot gar nicht hätten.

Die Ersatzkassen schlugen gemeinsam mit den Betriebs- und Innungskrankenkassen vor, eine ausgleichende Regionalkomponente einzuführen. Dies sei notwendig, da die Kassen Versorgungsstrukturen nicht beeinflussen könnten. Eine Gesetzesänderung sei schnell möglich, weil die Krankenkassen bereits jetzt die Postleitzahlen der Versicherten erheben.

Weitere Finanzierungsfragen ergeben sich aus absehbaren Kosten für die »teure Reformgesetzgebung«, so Uwe Klemens, ehrenamtlicher vdek-Vorsitzender. Insgesamt liefen allein durch Gesetze unter anderem zu Krankenhäusern, Terminservicestellen, E-Health oder Prävention bis 2020 Kosten von 4,6 Milliarden Euro auf. Dazu kommen wachsende Kosten aus steigenden Preisen und Mengen. So wäre ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag von 1,8 Prozent bis 2020 absehbar. Hier brachte Klemens die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung ins Spiel - Arbeitnehmern dürfe nicht länger zugemutet werden, über den Zusatzbeitrag jedes Wachstum allein zu finanzieren.

Wenig sinnvoll erscheint dem vdek auch der bisherige Umgang mit Beitragsgeldern, die quasi im Gesundheitsfonds eingefroren sind. Kritisiert wird unter anderem die zu hohe Liquiditätsreserve. Laut Gesetz müsste diese 2017 bei etwa 4,8 Milliarden Euro liegen, es seien aber 2,4 Milliarden Euro mehr. Statt diesen Überschuss zur Entlastung der Versicherten zu nutzen, sei bereits bisher Geld verbrannt worden. Strafzinsen wegen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank kosteten demnach im Jahr 2015 rund 1,8 Millionen Euro an Beitragsgeldern, bis zum 3. Quartal 2016 weitere vier Millionen Euro. Weiter wurde von der Bundespolitik ein höherer Ausgleich für die Krankenversicherung der Langzeitarbeitslosen gefordert, die monatlich angesetzten 100 Euro pro ALG-II-Bezieher reichten schon seit Jahren nicht zur Kostendeckung aus.

Weitere Beitragserhöhungen drohten nach vdek-Vorstand Elsner durch fehlende politische Maßnahmen gegen die Hochpreispolitik der Pharmahersteller. Besonders bei neuen Therapien gegen Multiple Sklerose und Krebs würden Jahreskosten von über 100 000 Euro pro Patient hingenommen. Die Ausgaben für Arzneien stiegen mit fünf Prozent pro Jahr deutlich stärker als die Grundlohnsumme. Zudem wandte sich der vdek gegen ein Verbot des Versandhandels für rezeptpflichtige Medikamente. Die Ersatzkassen stehen für 21,8 Millionen Beitragszahler und bilden das größte Segment im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung.

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