Stahlstadt Duisburg vor dem Aus

Thyssenkrupp Steel kündigt Stellenabbau in Nordrhein-Westfalen an

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Werksgelände des Hüttenwerks Krupp Mannesmann in Duisburg.
Das Werksgelände des Hüttenwerks Krupp Mannesmann in Duisburg.

In Duisburg schrillen die Alarmglocken. Deutschlands größter Stahlproduzent Thyssenkrupp Steel (TKS) hat einen massiven Stellenabbau angekündigt. Konkrete Zahlen gibt es aktuell noch nicht. Daher schreibt der Konzern in einer Pressemitteilung von einem »noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen, der auch die nachgelagerten Weiterverarbeitungsstufen sowie die Verwaltungs- und Dienstleistungsbereiche« betreffen werde.

Sinkende Nachfrage

In Bochum, Dortmund sowie in Südwestfalen wird an großen industriellen Standorten jenes Material verarbeitet, das aus den Duisburger Hochöfen kommt. In den Hochöfen sollte eigentlich bald klimaneutraler »grüner« Stahl mithilfe von Wasserstoff hergestellt werden. Dafür beschlossen Bund und Land erst kürzlich eine Staatshilfe in Höhe von zwei Milliarden Euro.

TKS, dessen Wiege in Nordrhein-Westfalen liegt und der hier auch die meisten Mitarbeiter beschäftigt, hat gegenwärtig insgesamt etwa 27 000 Mitarbeiter, allein in der selbst ernannten »Stahlstadt« Duisburg mehrere Tausend. Bislang waren die Anlagen von TKS auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Zuletzt wurde aber weniger produziert, auch weil die Nachfrage aus der Automobilbranche ausblieb.

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Ein Viertel Produktionsreduktion

Experten führen gerne eine Art Faustformel an. So soll eine Million Tonnen Stahl gleichbedeutend mit etwa 1000 Arbeitsplätzen sein. Da die Hochöfen und Werke bei Deutschlands größtem Stahlkonzern für eine deutlich geringere Produktion neu zugeschnitten werden sollen, wird die Produktionskapazität gedrosselt. Bald sollen nur noch maximal 9,5 Millionen Tonnen Stahl produziert werden. Das bedeutet eine Reduzierung der Produktionskapazität bis zu einem Viertel. Verständlich, dass Betriebsräte und IG Metall dagegen Sturm laufen.

Der Gesamtbetriebsrat sieht mit der Ankündigung des Konzerns eine rote Linie überschritten. Arbeitnehmervertreter stellen klare Bedingungen für einen »Umbau« von TKS. Sie sagen, mit ihnen gebe es keine betriebsbedingten Kündigungen, und beziehen sich auf den noch zwei Jahre laufenden Tarifvertrag. Dieser sieht auch ein klares Bekenntnis zu den beiden Produktionsstandorten in Duisburg-Hüttenheim und Duisburg-Bruckhausen vor. Gerade im Duisburger Norden, in Bruckhausen, geht es um eine Fläche, die fünfmal so groß wie das Fürstentum Monaco sein soll. Dort stehen vier große Hochöfen.

Thema am 1. Mai

Dieter »Didi« Lieske ist in Duisburg der vielleicht bekannteste Kämpfer für Stahlarbeiter. Lieske ist dort Mitglied der SPD-Fraktion im Stadtrat und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Lange war er außerdem Erster Bevollmächtigter der IG Metall für Duisburg. Gegenüber »nd« sagt er besorgt: »Es droht ein massiver Kahlschlag, der auch die Zulieferer und andere Industrien treffen wird.«

Am 1. Mai wird der »Kahlschlag« bei der großen DGB-Kundgebung im Landschaftspark Duisburg-Nord sicher eines der Hauptthemen sein. Die IG Metall teilte mit, das Ziel müsse sein, mit dem Management auch über den laufenden Tarifvertrag hinaus einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen auszuhandeln.

Ähnlich besorgt äußert sich die Arbeitgeberseite. Die für Duisburg zuständige Industrie- und Handelskammer (IHK) ließ gegenüber der Funke-Mediengruppe NRW verlauten, die Entscheidung von TKS treffe sie am größten Stahlstandort Europas »ins Mark«. Schwächele die Stahlbranche, wirke sich das auf die gesamte Wirtschaft aus – weit über die Grenzen von Duisburg und NRW hinaus. Arbeitsplätze, Kaufkraft und Wertschöpfung gingen verloren.

»Bittere Pille für NRW«

Kritik gibt es auch von der Landespolitik angesichts der erst vor wenigen Monaten beschlossenen milliardenschweren Staatshilfe. Die Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur von den Grünen hatte sich für die Unterstützung starkgemacht. TKS sei nun gefordert, »für die Betroffenen faire und tragfähige Lösungen zu finden«. Das gelte »umso mehr«, da Thyssenkrupp »staatliche Unterstützung in Milliardenhöhe« erhalte.

Die Vorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD, die aus Duisburg stammenden Sarah Philipp, sprach gegenüber »nd« von einer »ganz bitteren Pille für NRW, das Ruhrgebiet und vor allem für die Beschäftigten«. Die Landesregierung müsse »aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen« und mit einer aktiven Industrie- und Standortpolitik die klimaneutrale Weiterentwicklung des nordrhein-westfälischen Stahlstandortes anpacken: »Insbesondere für die Hüttenwerke Krupp Mannesmann, den Standort im Süden von Duisburg, müssen jetzt schnell tragfähige Zukunftslösungen her. Wir brauchen einen gemeinsamen Kraftakt, damit auch im Duisburger Süden möglichst schnell klimaneutraler Stahl produziert wird.«

Philipp meint, TKS gehöre wie der Rhein und die Ruhr zu NRW: »Jeder Einschnitt bei Thyssenkrupp ist auch ein Einschnitt für den nordrhein-westfälischen Industriestandort.«

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