Tanz in der Brandung

Tanztheater Wuppertal mit »Rough Cut« von Pina Bausch in Berlin

  • Karin Schmidt-Feister
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Seit mehr als drei Jahrzehnten faszinieren die verstörend- betörenden Bilderwelten der Pina Bausch das Publikum rund um die Welt. Die Stücke der heute 66-Jährigen sind Reisen in die menschliche Existenz, Erkundungen, tastende Versuche voller Fragen, die unser Sein in dieser Zeit und Welt in kleine und kleinste Momentaufnahmen zerlegen um den existenziellen Beweggründen nachzuspüren. Nach »Nefés« 2004 ist das Wuppertaler Tanztheater endlich wieder in Berlin. Im Gepäck fünf Vorstellungen von »Rough Cut« (Uraufführung Wuppertal 2005), das in Koproduktion mit dem Goethe-Institut in Seoul/Südkorea nach einem dreiwöchigen Aufenthalt des Wuppertaler Tanztheaters in der asiatischen Mega-Metropole entstand. Ein Stück über Asien ist dieser zweigeteilte Abend nicht. Das Spiel mit dem Publikum bezaubert, wenn zwei Männer im Pfeifduett die Melodie von Mund zu Mund geben und eine Frau zum Kreisen bringen. Auftakt für ein Defilee der weiblichen Verführungen, die in den bekannt extravaganten bunten Abendkleidern Marion Citos wie exotische Vögel zwischen Männern in schwarzen Anzügen umherflattern. Doch die vielen Frauensoli scheinen beliebig und nicht viel mehr als erotische Miniaturen. Zu viele Szenen plätschern oder hetzen dahin, ohne an Schärfe zu gewinnen. Die Ensemble-Badeszene mit echtem Wasser und Chinakohl ist nicht mehr als ein kurzer Gag (was war das Sonnen-Baden zu »Somewhere over the Rainbow« in »1980« für ein brillant entwickeltes vivant tableaux!). Wenn die weiblichen Schönheiten ihre Röcke über den Kopf halten, sehen sie zwar wie neun Sari-Madonnen aus, zu den vor ihnen posierenden zwei Männern auf Bänken haben sie aber keinen Bezug. Eine bunte Projektion taucht plötzlich ein auf dem Felsen kletterndes Liebespaar in eine Hochalpenwiesen-Idylle à la Bollywood, flankiert von Bergsteigern im Aufstieg. Bilder, die nur manchmal jene poetische Metaphorik erlebbar machen, für die wir Pina Bausch so lieben: Eine Frau zieht nacheinander große Papierblumen aus ihrem Gürtel, sie zündet die bunte Blüte an, Blume für Blume verglimmt, sie taucht deren Stängel in einen Wassereimer, betrachtet das verkohlte Nichts, erst ein Mann, dann andere halten ihr den Wassereimer, sie steigt auf die Schulter eines Mannes und setzt das Blumen-Abbrennen fort. In einer tragikomischen Sprechszene wird eine andere Schönheit nicht müde, die Komplimente eines Mannes zu hören, der gegen die verrinnende Zeit anredet. Bildstarke Szenen für das Anrennen oder stumme Aufbäumen gegen die eigene Vergänglichkeit. Der zweite Teil wirkt dichter, bündelt das Roh-Material vom Steigen und Fallen, von Stillstand und Bewegung suggestiv und zeigt Menschen zwischen Lebensgier und Lebensangst. Als Zuschauer genießt man den Moment, da die zierliche Indonesierin Ditta Miranda Jasfi von zwei Männern gehalten mehrmals barfuß einen blattlosen Strauch erklimmt, um neugierig in die Welt zu blicken. Ein kleiner Augenblick Leben. Der Ambivalenz des Seins scheint Pina Bausch mit ihrem Ensemble durch minimale Veränderung bekannter Bewegungsmotive näher zu kommen. Alles Lächeln, alle Schönheit kann permanent in ihr Gegenteil umschlagen. Die Angst, im Höher, Schneller, Weiter auf der Strecke zu bleiben, fokussiert das großartige Männersolo eines permanenten Zusammenbruchs vor der Endlosschleife auf- und abwärtsfahrender Menschenmassen auf den Rolltreppen eines Konsumtempels, die im Video Peter Pabsts riesig über die Felswand gleiten, während das schwarze Objektiv fragend dem Betrachter im Publikum zugewandt ist. Tanz und Bild finden hier einen metaphorischen Ausdruck für ein Grundgefühl unserer Zeit. Die Angst des Einzelnen, nicht mehr Schritt halten zu können, die Angst vor dem Absturz, dem Fall aus der Höhe. Im Finale treibt Pina Bausch ihre siebzehn Akteure in ein furioses Rennen, in dem einzelne Bewegungsmotive wie Stimmen aus den vergangen Szenen als Zitate aufflackern. Menschen rennen und rennen, sehr schnell, doch ziellos und allein, bis das Licht verlischt. Der herzliche Beifall der Berliner umfing Pina Bausch inmitten ihres verjüngten Wuppertaler Ensembles, das noch bis kommenden Sonntag der diesjährigen spielzeiteur...

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