Die Gottseibeiuns a.D.

30 Jahre »Emma«: Hat Alice Schwarzer die »Sex Wars« verloren?

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: ca. 5.5 Min.
Alice Schwarzers Aufstieg zur Medien-Ikone begann mit dem Anruf eines Mannes. Ein amerikanischer Journalist machte sie 1978 auf ein »frauenfeindliches« Titelbild des »Stern« aufmerksam und fragte, ob sich die deutschen Frauen nicht wehren würden? Schwarzer klagte - und wurde, ein Jahr nach der Gründung ihrer »Emma«, die heute vor dreißig Jahren zum ersten Mal am Kiosk lag, prominent als Kämpferin gegen Pornografie. Und gegen Helmut Newton, der das Bild aufgenommen hatte. Newton, dem in Berlin heute ein ganzes Museum gewidmet ist, stand nicht nur am Anfang der Stern-Klage. An ihn wird Schwarzer auch zehn Jahre später bei der »PorNo«-Kampagne gedacht haben. 1993 hat sie sich nochmals mit »dem sadomasochistischen Sound« seiner Fotografien auseinandergesetzt. Warum hat sich Schwarzer jahrzehntelang an Newton abgearbeitet? Weil für sie zwischen Bild und Tat nur graduelle Unterschiede bestehen. »Killerspiele«, schreibt sie, sind Vorstufe von Amokläufen, Newtons fetischistische, mit Symbolen von Macht und Unterwerfung gespickten Akt-Fotos Vorbereitung zum Sexualmord: »Pornographisch sind diejenigen Darstellungen zur sexuellen Anregung, die Frauen erniedrigen, sie in einer Ohnmachtsposition gegenüber Männern zeigen und zum Frauenhass oder gar Mord aufstacheln«. Gerade die von ihr so trotzig gegen die »Gendergeneration« hochgehaltene Simone de Beauvoir hat Schwarzer hier widersprochen. »Soll man de Sade verbrennen?«, fragt sie rhetorisch in einem Essay aus den fünfziger Jahren, in dem sie ausdrücklich den für Schwarzer so offenbaren Zusammenhang zwischen Bild und Tat bestreitet: »Oft schon wurde behauptet, der Mord sei die höchste Vollendung sadistischer Sexualität - ich halte jedoch diese Auffassung für ein Missverständnis«. Dies untermauert sie mit biografischen Details. Ausgerechnet der Patron des »Sadismus« fiel während der französischen Revolution als Staatsanwalt wegen Milde (!) in Ungnade. »Sie wollen mich zwingen, Abscheulichkeit, Unmenschlichkeit ins Werk zu setzen: ich habe das niemals gewollt«, zitiert Beauvoir aus seinem Rücktrittsgesuch. Dann verallgemeinert sie zu einer »Dialektik« des Sadismus: »Um sich darin zu gefallen, das Fleisch zu demütigen, sich an ihm zu begeistern, muss man ihm zuerst einen Wert verleihen.« Newtons legendäres Stern-Titelbild zeigte eine schwarze Frau in Ketten. Für Alice Schwarzer Rassismus und Sexismus, für andere ein Missverständnis. Die abgelichtete Sängerin Grace Jones baute ihr Image gerade auf solche Skandale - und war lesbisch. Hatte der Anrufer nur eine schwarze Homosexuelle mit ungebührlichen Vorlieben in die Pfanne hauen wollen? Es hat Frauen gegeben, die sich als Feministinnen verstanden und dies so sehen wollten. Gruppen wie »Samois« um Pat - heute Patrick - Califia, deren Name aus der »Geschichte der O.« stammt und die in fanatsievoller Sexualität jenseits der Reproduktion ein potenziell aufklärerisches Spielen mit sozialen Rollen sahen - innerhalb eines durch Absprachen geschützten Raums. Als »Feminist Sex Wars«, Sexkriege, ging dieser Streit in die Geschichte ein. Schwarzer unerbittlich: »Weiblicher Masochismus ist Kollaboration«. Sicherlich muss man Newton nicht mögen, und dass Sade weitgehend unlesbar ist, bestreiten nicht einmal eingefleischte Fetischisten. Aber weder Newtons Fotos noch urbane Singles, die sich in Sexclubs - oft in wechselnder Rollen- und Geschlechterwahl - zu bizarren Spielchen treffen, sind die Speerspitze des Patriarchats. Der »Lookismus« etwa, der junge Frauen in Body-Mass-Index-Wahn und Magersucht treibt, kommt nicht aus Pornos. Er kommt aus Castingshows, Starlet-Heftchen, Vorabendserien und Werbeclips. Sade dagegen schreibt, der »Libertin« werde stets eine häßliche Frau einer schönen vorziehen. Sade hin, Beauvoir her - bei den »Sexkriegen« ging es immer auch um ganz konkrete Fragen. Soll man Bordelle, wie etwa in Schweden, verbieten? Oder bestünde die richtige Antwort auf sexuelle Ausbeutung in Normalisierung der Prostitution und Einführung von Arbeitnehmerinnenrechten? Hier klingt Schwarzer wie die traditionellsten Teile der Union, gegen deren Hausfrau- und Mutter-Ideale sie doch so lange zu Felde zog: »Kein Beruf wie jeder andere«. In dieser Frage bestand schon immer eine seltsame Übereinstimmung zwischen der Feministin und den Christen. Entfalten konnte sich die Partnerschaft der Ungleichen aber erst durch das Auftreten des »Islamismus« als gemeinsamem Feind. Schwarzer greift das Kopftuch mit dem Universalismus der Menschenrechte an, Konservative verstehen Leitkultur und selbstbewusste Nation. Bezeichnend ist ein seitenfüllendes Interview, das Schwarzer vor Jahresfrist dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher gegeben hat. Dort sagt sie nicht nur, das Kopftuch sei »vergleichbar« mit Hitlers Judenstern. Sie fabuliert auch von einer in Deutschland aus Gründen des schlechten Gewissens grassierenden »Fremdenliebe«, wegen der sich die Gesellschaft ihrer »Islamisierung« unterwerfe. Vor allem aber riecht es dann nach Burgfrieden, wenn Schirrmacher ihr ungescholten - mehrfach nachhakend - vorhalten kann, die deutschen Mittelschichtsfrauen müssten angesichts des fruchtbaren Feindes ihren Selbstverwirklichungs-Gebärstreik aufgeben. Als Resultat ist Alice Schwarzer heute in demselben christlich-konservativen Milieu, für das sie noch vor 15 Jahren die Gottseibeiuns persönlich darstellte, durchaus wohlgelitten. Zumindest, solange sie ihre Thesen über den allgemeinen Zusammenhang von psychischen Erkrankungen bei Frauen und patriarchaler Gewalt oder über den Krieg als »Reaffirmation der Männlichkeit« für sich behält - darüber muss sie weiter auf kleiner Bühne referieren. Mit der Linken dagegen hat Alice Schwarzer schon lange gebrochen, mit der radikalen sowieso. Deren »Gläubigkeit« habe sie abgeschreckt, sagt sie im Schirrmacher-Interview. Dennoch hat niemand die Praxis gerade des linksradikalen Feminismus im Deutschland noch der neunziger Jahre stärker beeinflusst als sie. Bis vor wenigen Jahren wurden bei »militanten« Demonstrationen nicht nur die Schaufenster von Banken demoliert, sondern auch die von Sex-Shops und Rotlicht-Etablissements. Die Bundesrepublik war das letzte Land, in dem der »postmoderne« Feminismus Fuß fassen konnte, die Bewegungslinke wiederum war in ihr der letzte resistente Sektor - und der Grund dafür heißt Alice Schwarzer, auch wenn dies auf den entsprechenden »Plena« nie zugegeben worden wäre. Verwundern kann das nur auf den ersten Blick. Trotz aller Distanzierungen ist sie ein überaus typisches Produkt der westdeutschen Nachkriegslinken. In ihrer Unduldsamkeit, ihrer Ablehnung von Dialektik, im Dezisionismus des Entweder-oder-Denkstils der siebziger und achtziger Jahre - inklusive der Logik vom »Feind meines Feindes«. Nach dreißig Jahren »Sex Wars« scheint eines klar: Alice Schwarzer hat verloren. Es reicht ein Blick in den »kulturlinken« Veranstaltungskalender der letzten Monate, um dies festzustellen. Da debattieren »Cyberfeministinnen« im Beiprogramm des »1. Berliner Pornofilmfestivals« über »alternativen Porno« als Instrument der Selbstfindung sexueller Minderheiten. Da fahndet in der Berliner Volksbühne die Konferenz »post porn politics« nach emanzipatorischen Potenzialen des Voyeurismus. Da zeigt ein paar Straßen weiter das rennomierte Ausstellungshaus »Kunstwerke« die Schau »into me - out of me«, in der es auch um sadomasochistische Selbst- und Fremdverletzungen geht, ohne dass dies als Täter-Opfer-Problem thematisiert werden würde. Nicht einmal an »Emma« selbst scheint dies spurlos vorbeizugehen. Die Zeitschrift lobt auf ihrer Internetseite die Aktionskünstlerin Periel Aschenbrand über den grünen Klee, die in den USA mit einem Fotoband bekannt wurde, in dem sie ihre Topmodelmaße weitgehend nackt präsentiert. Auf einem dieser Bilder lutscht sie an etwas Phallusförmigem. »Gebrochen« wird die durchaus Männermagazin-kompatible Selbstpräsentation durch den Slogan »Der einzige Bus(c)h, dem ich vertraue, ist mein eigener«, den Aschenbrand auf ihren Slip hat drucken lassen. »Frivol«, erklärt »Emma«, sei nicht »pornografisch«. Ob die jungen Männer, die einander in Online-Communities die Bildchen zuschicken, diese Unterscheidung mitmachen? Nun ist zum Jahreswechsel auch die Zeitschrift »Texte zur Kunst« mit einem »Porno«-Titel erschienen. Man ist Pop-Papst Diedrich Diederichsen dankbar für den Skeptizismus, den er darin dieser Mode gegenüber äußert. Wie immer nach einer polarisierten Diskussion besteht die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Und die jüngeren Feministinnen, die mittlerweile an US-Hochschulen »Pornologie« lehren und die alte Schule milde belächeln, vergessen, dass sie ohne die Alice-Schwarzer-Gene...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.