Von Hartz IV zu Brand I

  • Thomas Wieczorek
  • Lesedauer: 2 Min.
Wie beim WM-Fußball-Sommer ist auch jetzt bei der Handball-WM ganz Deutschland eine einzige jubelnde Fangemeinde. Zwar zeigen wir unsere grenzenlose Begeisterung momentan noch nicht so offen, aber es ist die Ruhe vor dem Sturm: Das WM-Fieber liegt in der Luft. Die meisten Autofahrer haben schon ihre Hupen gestimmt, die Deutschlandfahne liegt einsatzbereit auf dem Rücksitz, in den Kaufhäusern sind die Wunderkerzen und Leuchtraketen ausverkauft, und über die Fanmeile am Brandenburger Tor flanieren schon die ersten Handball-Fanatiker, getarnt als harmlose Touristen. Die Vorzeichen sind günstiger als im Sommer: Argentinien wurde bereits aus dem Weg geräumt, und Italien ist erst gar nicht dabei. Auch die Niederlage gegen Polen kann den Optimismus unter den Handballfans nicht schmäler. Auch im politischen Berlin laufen die letzten Vorbereitungen auf Hochtouren; schließlich richtet sich der Fortgang des Reformprozess nach den sportlichen Erfolgen. So will Ulla Schmidt beim Einzug unter die letzten Vier die weitere Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge von der Ehrentribüne aus verkünden. Beim Erreichen des Finales wird das Truppenkontingent für Afghanistan verdoppelt, und im Falle des Titelgewinns werden Renten und Hartz IV zu Ehren des Bundestrainers in Brand I zusammengeführt. Ein Vorschlag von Außenminister Steinmeier, aus den Aktenbergen des BND-Untersuchungsausschusses ein Freudenfeuer zu entzünden, wird derzeit noch geprüft. Zu alledem nutzen die beiden ehemaligen Volksparteien die WM zum Kampf gegen die Politikverdrossenheit. So plant Kanzlerin Angela Merkel, das Endspiel mit Deutschland ins Berliner Olympiastadion zu verlegen und die Eintrittskarten an neue CDU-Mitglieder zu verteilen. SPD-Chef Kurt Beck hingegen will sich bei einem Finalsieg rasieren, kämmen und um einen neuen Arbeitsplatz bemühen.

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