Der fliegende Vogtländer

Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, wird 80

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zahl der Menschen, die unsere Erde als Raumfahrer für längere oder kürzere Zeit verlassen haben, nähert sich inzwischen der Marke 600. Menschen aus vierzig Ländern sind darunter, aus Deutschland allein elf. Doch der erste Deutsche, der ins All flog, war Sigmund Jähn. Als Jähn 1978 startete, herrschte ein erbitterter Wettlauf der Gesellschaftssysteme und der beiden Supermächte USA und UdSSR. Insofern setzte der Raumflug von Sigmund Jähn auch ein politisches Zeichen, zumal der erste »Westdeutsche«, Ulf Merbold, erst über fünf Jahre später abhob.

Als Jähn von seiner achttägigen Reise ins All am 3. September 1978 zurückgekehrt war, bereiteten ihm die (Ost-)Berliner einen geradezu triumphalen Empfang. Als erste Station hielt der Tross mit der Staatsführung der DDR und dem sowjetischen Kommandanten Valerij Bykowski an der Treptower Archenhold-Sternwarte, wo ein »Hain der Kosmonauten« mit einer von Gerhard Rommel eilends geschaffenen Jähn-Büste eingeweiht wurde. Ich erinnere mich noch, dass der Kosmonaut sichtlich erbleichte, als er sein bronzenes Konterfei gewahrte. Für diesen bescheidenen Menschen war das offenbar eine Nummer zu groß. Doch die Bevölkerung zeigte echte Begeisterung. Viele waren stolz, durch Jähn auch als kleines Land bei der bemannten Raumfahrt dabei zu sein.

Dass gerade Sigmund Jähn der »Auserwählte« sein würde, hätte er sich 1951 als 14-jähriger Buchdrucker-Lehrling aus dem vogtländischen Morgenröthe-Rautenkranz gewiss nicht träumen lassen. Damals war die Raumfahrt noch eine Domäne der Science-Fiction. Mit dem Start von Sputnik 1 (1957) und des ersten Menschen ins All (Juri Gagarin 1961) wurde Kosmonaut allerdings zum Wunschberuf vieler junger Leute, so wie früher vielleicht nur der des Lokführers. Jähn war inzwischen Jagdflieger bei der Nationalen Volksarmee der DDR und hatte ein fünfjähriges Studium an der Moskauer Militärakademie der Luftstreitkräfte absolviert.

Im Rahmen des »Interkosmos«-Programms sollten auch andere sozialistische Länder die Möglichkeit erhalten, Kosmonauten in den Erdorbit zu entsenden. Nach dem tschechischen und dem polnischen Kosmonauten war dann Jähn der Dritte dieser »Gäste« an Bord der sowjetischen Raumstation »Saljut 6«. Jähn absolvierte ein umfangreiches wissenschaftliches Programm an Bord der Raumstation, das zuvor gründlich u. a. am Zentralinstitut für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der DDR vorbereitet worden war. Dabei spielte die heute bereits alltägliche Fernerkundung unseres Planeten mit Hilfe einer vom Kombinat Carl Zeiss Jena entwickelten Multispektralkamera (MKF-6) eine entscheidende Rolle. Die Kamera war zuvor an Bord von Flugzeugen getestet worden und galt damals als beste Weltraumkamera. Jähn führte aber auch materialwissenschaftliche sowie medizinische und biologische Experimente durch. Nach dem Raumflug arbeitete er an der Weiterentwicklung der Kamera mit, die zur Standardausrüstung aller sowjetischen Raumstationen wurde. Auch auf der »Mir«-Station (1986-2001) nutzten die insgesamt 18 Besatzungen die Kamera.

All diese Untersuchungen und Erfahrungen sind dann schließlich in Jähns Dissertation eingeflossen, mit der er - zusätzlich zu allen militärischen Titeln und sonstigen Ehren - auch noch zum »Dr. rer. nat« wurde.

Dann kam die Wende. Für den Generalmajor der NVA und »Held der DDR« erst einmal das Ende seiner Karriere. Doch ausgerechnet sein westdeutscher Raumfahrtkollege Ulf Merbold sorgte dafür, dass Jähns Leistung nicht einfach so »abgewickelt« wurde. Auf Merbolds Anregung wurde Jähn 1990 als Berater für das Astronautenzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) verpflichtet und ab 1993 wirkte er für die Europäische Raumfahrtagentur ESA als Verbindungsmann im russischen Kosmonautenausbildungszentrum. Den nachfolgenden deutschen Astronauten Klaus-Dieter Flade, Thomas Reiter und Reinhold Ewald half er dort, die vor ihnen stehenden Aufgaben an Bord der Raumstation »Mir« zu meistern.

Wir haben uns seit jener ersten Begegnung 1976 nach seiner Rückkehr aus dem All oft wiedergesehen. Meist bei Veranstaltungen, in denen wir jungen Leuten gemeinsam die Begeisterung für Wissenschaft und Technik zu vermitteln versuchten. Dass sich Jähn dafür stets die Zeit genommen hat, spricht für ihn. Denn was gibt es Schöneres - außer einem Flug ins All natürlich - als kommenden Generationen die Neugier auf die Rätsel dieser Welt einzupflanzen und dadurch vielleicht sogar ihre berufliche Entwicklung in naturwissenschaftlich-technische Bahnen zu lenken.

Gern erinnere ich mich an eine kürzliche gemeinsame Reise mit Jähn nach Moskau, bei der er die Teilnehmer einer Reisegruppe ins Sternenstädtchen begleitete. Dort konnten sie »hautnah« und aus dem Munde eines Protagonisten erleben, wie sich Raumfahrer auf ihren Einsatz im All vorbereiten. Alle, die dabei waren, schwärmen noch heute von diesem einmaligen Erlebnis. Nun feiert Sigmund Jähn seinen 80. Geburtstag. Da hätte er es wohl verdient, ein wenig kürzer zu treten. Doch man darf sicher sein, dass seine vielen begeisterten Fans es nur bedingt dazu kommen lassen. Wenn auch öffentliche Auftritte nicht zu Jähns Lieblingsbeschäftigungen gehören, so wäre es dennoch wünschenswert, wenn er sie nicht ganz aufgeben würde. Die Menschen in überfüllten Sälen werden es ihm danken.

Der Autor war von 1976 bis 2004 Direktor der Archenhold-Sternwarte.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal