»Der große Schmerz unserer Herzen«

Die nationalen Auschwitz-Komitees öffnen sich - neuen Mitgliedern und der Zukunft

  • Ingrid Heinisch
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Das Internationale Auschwitz Komitee vertritt alle ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers. Zu ihm gehören Organisationen aus 19 Staaten. Einige vertreten sehr viele Überlebende, etwa Israel, wo derzeit 250 000 ehemalige Auschwitz-Häftlinge leben. In Ungarn dagegen sind es nur noch 200, in Österreich gerade einmal fünf. Deshalb haben sich einige Komitees geöffnet. Dort kann Mitglied werden, wer indirekt von Auschwitz betroffen ist: Familienmitglieder oder Wissenschaftler. Das gilt für Deutschland, Österreich, Belgien und Luxemburg. Andere Komitees planen dies. Doch nicht diese Unterschiede - was sie eint, zeichnet die nationalen Komitees vor allem aus: die gemeinsame Erfahrung der Überlebenden. Ein Bild verdeutlicht das: Berry Nahmias und Adolf Burger trafen sich kürzlich zum ersten Mal. Sie ist Vorsitzende des griechischen Komitees, er engagiertes Mitglied in Prag. Beide haben ihre Geschichte schon hundertfach erzählt, aber sie sprechen darüber, als sei es das erste Mal. Und sie zeigen einander die Nummer, die auf der Innenseite ihres Unterarmes eintätowiert ist. Die Zahlen auf der Haut symbolisieren das Leid aller Auschwitz-Häftlinge. Um die letzten Überlebenden, die immer mehr physische und psychische Hilfe brauchen, sorgen sich die Komitees besonders. In Israel etwa gibt es ein groß angelegtes Programm dafür. Andernorts geschieht die Unterstützung inoffiziell. Die Osteuropäer beklagen zu Recht, dass ihre Überlebenden bei Entschädigungszahlungen ungerecht behandelt werden. Sie, die sowieso unter ungleich ärmeren Bedingungen leben, erhalten nur die Hälfte der Zahlungen wie ihre Gefährten im Westen. Einig sind sich die einstigen KZ-Häftlinge auch in ihrer Sorge um die Zukunft. Gerade jetzt, im Alter, gehen viele von ihnen in Schulen, um Jugendliche über den Holocaust aufzuklären. Sie begleiten Reisegruppen nach Auschwitz. Manche absolvieren solche Treffen jede Woche. Wenn Adolf Burger Berlin besucht, möchte er möglichst täglich zu deutschen Jugendlichen sprechen. Kurt Goldstein, der Ehrenvorsitzende des Internationalen Auschwitz Komitees, trifft sich regelmäßig mit jungen Leute. Das nächste Mal an diesem Montag in Magdeburg. Drei Stunden wird der 92-Jährige sich für seine Zuhörer Zeit nehmen. Die Überlebenden fragen sich, was wird, wenn sie ihre Stimme nicht mehr erheben können. Was wird dann mit der Geschichte von Auschwitz? In allen Ländern denken die Verantwortlichen über neue Formen nach, Geschichte zu vermitteln. Es gibt viele Projekte, die letzten Überlebenden zu filmen. Das französische Komitee will virtuelle Rundgänge durch Auschwitz im Internet anbieten. Der Besucher kann den Stationen eines Häftlings folgen. Die Niederländer planen ein ähnliches Projekt. Hier kann der Internetbesucher Fragen stellen. Was gab es zu essen, wie sah die Kleidung aus, was machten die Frauen, wenn sie ihre Tage hatten? Einfache Fragen, die Jugendliche oft stellen und auf die Antworten von Überlebenden bereit stehen sollen. In Berlin hat das Internationale Auschwitz Komitee gerade die Ausstellung »Überleben im Leben« eröffnet: Zeichnungen und Gedichte der Niederländerin Ronnie Goldstein-van-Cleef. Es ist ein radikales Konzept. Keine Erklärungen zum KZ, zu seiner Geschichte und Organisation, nur Bilder und Verse. Und einige Texte über das Leben von Ronnie Goldstein-van-Cleef. Die Schwarz-weiß-Zeichnungen erzählen von Angst, Einsamkeit und Verzweiflung, sie brauchen keine Erklärung. Alle Überlebenden beobachten mit Sorge den weltweit wachsenden Antisemitismus - auch die Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber diesem Phänomen. Die Ungarn leiden unter dem offenen Antisemitismus in ihrer Bevölkerung. Auch Polen und Russen berichten davon. Der deutsche Außenminister Steinmeier sicherte Mitgliedern des Auschwitz-Komitees zu, dass Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft sich mit diesem Problem beschäftigen will. Sie werden ihn beim Wort nehmen. Und noch etwas bereitet ihnen Sorge und Leid. »Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg«, das war ihre Forderung an die Welt. Sie hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Deshalb macht das Internationale Auschwitz Komitee mehr und mehr die Gegenwart zu seinem Thema. Zurzeit besonders den Kampf gegen den Völkermord in Darfur. Das französische Präsidiumsmitglied Rafael Esrail hat es so ausgedrückt: »...

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