Brandenburger Bauern fordern Jagd auf den Wolf

Biobauer Jörg Dommel verlor in sechs Monaten sechs Tiere und lud am Freitagabend zu einer Wache an der Weide

Einen Steinwurf von der Rinderherde entfernt prasselt das Lagerfeuer. Es ist Freitagabend, kurz vor 20 Uhr. 40 Nachbarn sind zu den Viehweiden von Biobauer Jörg Dommel bei Neuendorf am See gekommen, und mit der Zeit treffen noch mehr hier ein. Wenn der Rauch des Lagerfeuers ins Gesicht weht, tränen die Augen. Auch so hätte Bauer Dommel Grund zum Heulen. Die Wölfe hingegen heulen zwar nicht. Aber sie sind da. Drei bis vier Rudel gebe es im Umkreis von 25 Kilometern, berichtet Dommel. Und nachts kommen sie zu den Weiden. Seit Juni vergangenen Jahres bereits sechs Mal. Fünf Kälber und eine Mutterkuh haben sie aus einem Bestand von 200 Rindern gerissen. Den Schaden beziffert Dommel auf 6000 Euro. »Nichts gegen Artenschutz. Naturschutz - bin ich dafür! Aber der Wolf, sehr zweifelhaft.«

»In Brandenburg soll es wieder Wölfe geben«, sang Komiker Reinald Grebe vor mehr als einem Jahrzehnt. Das ist inzwischen Tatsache. Das Agrarministerium spricht von gegenwärtig etwa 200 Exemplaren.

In Berlin freuen sich die Stadtmenschen über derlei spannende Nachrichten, weiß Rinderzüchter Dommel. Da denken die Leute auch, die Bauern bekommen ihren Schaden ja ersetzt. Doch das stimme nicht. Zwar zahlte das Agrarministerium im vergangenen Jahr 40 000 Euro Entschädigung. Doch bei ihm habe der Gutachter nur zwei Fälle anerkannt, für die er jeweils pauschal 750 Euro bekommen habe. In einem Fall habe der Gutachter behauptet, das Kalb sei schon tot gewesen, bevor sich das Wolfsrudel heranmachte. Doch er habe das Kalb noch am Abend zuvor gesund und munter auf der Weide gesehen, beteuert der 55-Jährige.

Bei den bewilligten Entschädigungen sei nur der momentane Wert der Kälber anerkannt, kritisiert Dommel, nicht dagegen die Tatsache, dass er sie als herangewachsene Bullen für viel mehr Geld hätte verkaufen können, dass sie als ausgewachsene Kühe selbst Kälber bekommen und Milch geben.

Auch sei die Herde einmal in Todesangst vor den Wölfen ausgebrochen, habe sich von den leichten Stromstößen nicht mehr schrecken lassen und den Elektrozaun niedergetrampelt. Der Stress führe dazu, dass die Rinder anschließend zwar fressen, aber nicht wie gewohnt zunehmen. Dieser finanzielle Schaden werde vom Land ebenfalls nicht ausgeglichen.

»Wir schaffen es nicht mehr, den Wolf von unseren Herden fernzuhalten«, stöhnt Frank Michelchen, Wolfsbeauftragter des brandenburgischen Bauernbundes und selbst Runderzüchter. Damit die Kühe nicht ausbrechen, genüge ein klassischer Elektrozaun mit zwei Drähten. Damit die Wölfe nicht einbrechen können, hat sich Michelchen nun einen 1,20 Meter hohen Zaun mit fünf Drähten angeschafft. Er muss erst sehen, ob es die Raubtiere wirklich nicht schaffen, darüber hinwegzusetzen. Wenn der Winter vorbei sei und der Boden nicht mehr gefroren, dann werden sie sich drunter hindurchwühlen, erwartet Michelchen. Der Bau von sicheren Zäunen werde vom Land gefördert, bestätigt er. Aber erstens sei die Fördersumme nicht kostendeckend und zweitens gebe es nur Geld für Schaf- und Ziegenherden. Die Rinderzüchter seien angeschmiert.

In ihrer Not halten die Bauern mit ihren Nachbarn nun am Freitagabend eine mehrstündige Wolfswache ab, die aber nur ein symbolischer Akt sein kann. Solange das Lagerfeuer brennt, werden die Rudel fern bleiben. Doch es können nicht alle Viehweiden rund um die Uhr bewacht werden. Die Forderung des Bauernbundes lautet deshalb unmissverständlich, »jeden Wolf, der sich Menschen, Siedlungen oder Viehweiden auf weniger als 1000 Meter nähert, zu erschießen«.

Doch die Jagd sei mit EU-Recht nicht vereinbar, weil Wölfe unter Schutz stehen, erläutert Agrarministeriumssprecher Hans-Joachim Wersin-Sielaff. Das könne auf Landesebene nicht korrigiert werden. Ausnahmen gebe es nur für sogenannte Problemwölfe, die nicht die natürliche Fluchtdistanz zum Menschen einhalten. Solche Problemwölfe dürfen zunächst vergrault oder zur Not dann auch eingefangen werden. Der Abschuss sei erst erlaubt, wenn dies alles misslingt. Dass Wölfe in Viehweiden eindringen und Kälber reißen, sei aber ein normales, artgerechtes Verhalten. Wersin-Sielaff betont: »Im Moment haben wir in Brandenburg keinen Problemwolf.«

Zwar drang ein Wolf im Dezember auf ein Kitagelände in Rathenow vor und näherte sich dort einem Kind. Für dieses Tier wurden auch bereits Abwehrmaßnahmen erlaubt und eingeleitet. Doch dieser Wolf hat sich dann nicht mehr blicken lassen.

Die Bauern glauben, dass EU-Recht ließe sich umgehen. Das Land müsste einfach nur in ihrem Sinne neu definieren, was ein Problemwolf sei. Am Lagerfeuer ruft ein Mann erregt aus: »Jeder Jäger muss die Erlaubnis bekommen: ›Was vor die Flinte kommt, wird abgeschossen.‹« Daneben steht ein Jäger. Heinz-Georg Embach heißt er. Genauso wie der Bauernbund denkt Embach, dass in Brandenburg schon viel mehr Wölfe umherstreifen als offiziell angenommen. 185 Tiere seien auf 22 Prozent der Landesfläche beobachtet worden, rechnet er vor. Doppelzählungen einkalkuliert, gebe es also bestimmt rund 300 Wölfe. Die Vermehrungsrate werde dazu führen, dass es in drei Jahren 1000 Exemplare seien. In einigen Dorfkindergärten haben die besorgten Eltern die Erzieherinnen gebeten, mit den Knirpsen nicht mehr zum Spielen in den Wald zu geben, sagt Embach. So sei die Stimmung auf dem Lande. Doch in der Stadt sehe es anders aus. Embach hätte im Moment Angst, einen Wolf zu töten. Er berichtet von einem Fall aus Skandinavien, wo ein Jäger nach einem Wildunfall dem verletzten Wolf den Gnadenschuss gegeben habe. Hinterher sei das Auto des Jägers zweimal von Tierschützern demoliert worden und am Ende sei er sogar verprügelt worden.

Carsten Preuß repräsentiert gleich drei beteiligte Seiten: als Landesvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz steht er für den Artenschutz, als Agraringenieur für die Landwirte und als parteiloser LINKE-Kandidat für die Bundestagswahl am 24. September für die Politik. Für Rinderzüchter Dommel, dessen Viehbestand es gleich sechs Mal erwischte, sei das eine »tragische Situation«, bedauert Preuß. Leider treffe es gerade die Biobauern, die keine Massentierhaltung in Megaställen betreiben, sondern ihren Tieren auf der Weide viel Auslauf lassen. Schutzhunde einzusetzen, werde bei einer Rinderherde nicht helfen, weil die Tiere von klein auf an solche Hunde gewöhnt sein müssten. Nun, nach der Erfahrung des Wolfseinfalls, würde die Rinderherde einen Schäferhund leicht mit einem Wolf verwechseln und in Panik ausbrechen, sagt Preuß.

»Der Wolf ist geschützt. Wir können ihn nicht töten, und das ist auch gut so«, findet Preuß. Wenn sich ein Wolf einer Viehweide nähere, so sei er deswegen noch kein Problemwolf. »So können wir es nicht machen«, sagt er zum Vorschlag einer Neudefinition des Begriffs Problemwolf. Preuß macht aber Hoffnung in der Frage der Entschädigungen, die das Land seit einem halben Jahr nicht mehr aus einem EU-Topf zahle, was oft gedauert habe. Jetzt werden die Mittel aus dem Landeshaushalt genommen. Dies sei ein »richtiger, guter Schritt«. Nun müsste die Auszahlung schneller vonstatten gehen, meint Preuß. Der Wolf sei jahrzehntelang aus Brandenburg verschwunden gewesen. Es werde seine Zeit dauern, sich wieder an ihn zu gewöhnen.

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