Keinen zweiten Holocaust zulassen

  • Micha Brumlik
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 27. Januar gedenkt die Welt der Befreiung des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Sinn dieses Gedenkens ist es, der Würde jedes einzelnen Ermordeten gerecht zu werden, aber auch, künftige Verbrechen dieser Art erst gar nicht geschehen zu lassen. Nichts anderes meinte Theodor W. Adorno mit seiner sprichwörtlich gewordenen Forderung, Ziel aller Erziehung sei, dass Auschwitz sich nicht wiederhole. Damit ist der 27. Januar allemal auch ein Tag, der zur Verhinderung gegenwärtiger oder künftiger Genozide in der Weltgesellschaft aufruft. Dabei denken wir heute vor allem an Darfur. Doch erschöpft sich der Sinn dieses Gedenktages nicht nur darin, Genozide überhaupt anzuklagen oder zu verhindern. Tatsächlich geht es in konkreter Solidarität auch darum, antisemitisch motivierte Verbrechen an Juden zu verhindern. Damit sind nicht nur Übergriffe und Angriffe angesprochen, die etwa von rechtsradikalen Jugendlichen in Deutschland gegen Synagogen und orthodoxe Juden verübt werden, sondern auch, dass mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende ein Genozid gegen einen erheblichen Teil des jüdischen Volkes geplant sowie tatkräftig vorbereitet wird: Die atomaren Rüstungspläne des rohstoffreichen Iran zielen darauf, dass der Staat Israel von der Landkarte verschwinden müsse - das wird an den wiederholten Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad deutlich. Diese Ankündigungen und Drohungen werden keineswegs von allen politischen Beobachtern ernst genommen; es handele sich - so die wohlwollende Deutung - um Säbelgerassel, das keinen anderen Zweck habe, als die USA zu schockieren. Allerdings: Auch Adolf Hitler hat sich seit seinem Machtantritt immer wieder in mehr oder minder wolkigen Äußerungen über das Ende des Judentums ausgelassen und dieses Ziel dann, als sich die Gelegenheit bot, von hunderttausenden und Millionen seiner Spießgesellen zielstrebig exekutieren lassen. An die Realität dieser Ankündigungen hätte vor 1933 kein vernünftiger Mensch geglaubt. Heute sind wir in einer anderen Lage: Dass der Holocaust geschehen ist, beweist, dass er - wenn auch in anderer Form - wieder geschehen kann. Es ist begründet zu befürchten, dass die iranische Regierungsspitze einen nuklearen Holocaust gegen den Staat Israel ausheckt, den sie bei sich bietender Gelegenheit gegen das kleine Land, das ungefähr so groß wie Hessen ist, exekutieren könnte. Dass in einem solchen Fall auch der größte Teil der palästinensischen Bürger Israels und der besetzten Gebiete in Gefahr gerät und umkommen könnte, schert die selbst ernannten Vorkämpfer islamischer Solidarität offenbar nicht. Ebensowenig wie die Tatsache, dass solche Pläne das bedrohliche Kriegskarussell im Nahen und Mittleren Osten auf allen Seiten weiter in Schwung setzt, einschließlich jener Pläne, eine atomare Rüstung in Iran durch Präventivschläge zu verhindern. Das entschiedene Eintreten gegen einen zweiten Holocaust am jüdischen Volk steht nicht im Widerspruch zu einer recht verstandenen Solidarität mit jenen Palästinensern, die seit bald vierzig Jahren unter dem oftmals völker- und menschenrechtswidrigen israelischen Besatzungsregime leiden. Doch kann sich diese Solidarität - nimmt man das Vermächtnis des 27. Januar ernst - nicht im Hinnehmen einer nuklearen Vernichtungsdrohung zeigen. Darum gilt heute - neben der Eindämmung rechtsextremistischer und antisemitischer Gewalt und Propaganda hierzulande - auch: Wer über Auschwitz und Hitler redet, darf auch über die Rüstungsprojekte von Ahmadinedschad nicht schweigen. Der Autor leitete bis 2005 das Fritz-Bauer-Institut zur Dokumentation der Geschichte des Holocaust.
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