311 asylfeindliche Angriffe in Brandenburg

Die Zahl der Attacken auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte hat sich 2016 mehr als verdoppelt

Eine serbische Asylbewerberin hat Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Laut einer Polizeimeldung vom Donnerstag ging die 18-Jährige am Mittwochnachmittag am Polloweg in Perleberg entlang. Dort soll ihr eine Jugendliche entgegen gekommen sein. Diese soll zu ihr gesagt haben, sie solle in ihr Land zurückgehen. Dann soll sie die 18-Jährige mehrfach geschubst haben. So sehr, dass der Serbin anschließend der Oberkörper schmerzte.

Die asylfeindlichen Demonstrationen im Land Brandenburg haben nach einer Analyse des Moses-Mendelssohn-Zentrums im zweiten Halbjahr 2016 zwar deutlich an Zulauf verloren. Die Gewalt gegen Asylheime und Flüchtlinge bewegt sich jedoch auf einem unverändert hohen Niveau. Das bestätigt nun die Antwort von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (LINKE).

Bilanz 2016

- ein Mordversuch
- ein versuchter Totschlag
- 40 gefährliche Körperverletzungen
- 40 einfache Körperverletzungen
- 34 Beleidigungen
- sieben Bedrohungen
- sieben Brandstiftungen
- 44 Sachbeschädigungen
- 82 Fälle von Volksverhetzung,
- ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz
- ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
- vier Störungen des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
- ein besonders schwerer Landfriedensbruch af

Demnach hat die Polizei im vierten Quartal des vergangenen Jahres 63 politisch motivierte Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und auf Asylbewerber registriert. Wie einer Tabelle zu entnehmen ist, verteilen sich die Übergriffe auf 41 Orte, die über das gesamte Bundesland verstreut liegen. Ein Schwerpunkt ist im Süden auszumachen, wo die rechte Szene schon seit Jahren stärker ausgeprägt ist und aggressiver in Erscheinung tritt als anderswo in Brandenburg. Allein elf Delikte entfallen auf Cottbus, drei auf Senftenberg und zwei auf Spremberg. Es sind jedoch ebenso jeweils drei Straftaten in Eberswalde und Rheinsberg gemeldet worden und je zwei in Strausberg, Potsdam, Prenzlau und Perleberg. In neun Fällen verzichtete die Justiz darauf, Anklage zu erheben und stellte das Verfahren ein. In einem Fall wurde ein Strafbefehl beantragt. In allen übrigen Fällen dauern die Ermittlungen an.

Für das gesamte Jahr 2016 summiert sich die Zahl der Übergriffe auf 311, davon 165 im ersten Halbjahr und immer noch 146 im zweiten Halbjahr 2016. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 hatte es nur 36 derartige Delikte gegeben. Ab Ende 2014 war dann die Zahl der in Brandenburg ankommenden Flüchtlinge sprunghaft angestiegen. Doch der latent immer vorhandene Fremdenhass trat erst zeitversetzt offen in Aktion. Im ersten Quartal 2015 gab es lediglich elf Übergriffe, im zweiten Quartal immerhin schon 24 und im dritten Quartal dann 64. Für das gesamte Jahr 2015 addierten sich die Zahlen auf 141 registrierte Delikte.

Die Zahl 311 für das Jahr 2016 bedeutet mehr als eine Verdopplung. Ein Abflauen ist nicht zu spüren, obwohl sich die Zahl der in Brandenburg ankommenden Flüchtlinge mit der Sperrung der Balkanroute im Jahr 2016 von 28 128 auf 9817 verringerte und obwohl derzeit nur 23 300 Flüchtlinge in den brandenburgischen Kommunen untergebracht sind.

Die Lageeinschätzung des Innenministeriums ist unverändert. Trotz des rückläufigen Zuzugs von Flüchtlingen müsse auch weiterhin mit Übergriffen auf Asylheime, Geflüchtete und Willkommensinitiativen gerechnet werden, bedauert Innenminister Schröter.

»Vor allem die zunehmende Zahl der Körperverletzungsdelikte ist erschreckend«, findet die Landtagsabgeordnete Johlige. »89 Mal wurden in Brandenburg im Jahr 2016 Geflüchtete verletzt oder schwer verletzt«, sagt sie. 2015 seien es 42 Körperverletzungen gewesen. Hinzu kommen ein Mordversuch und ein versuchter Totschlag. Ein Brandanschlag in Jüterbog werde von Polizei und Justiz als versuchter Mord verfolgt und in Schwedt sei eine Geflüchtete vor ein Auto gestoßen worden, was als versuchter Totschlag gewertet werde, erläutert Johlige. Auch die Zahl der Sachbeschädigungen verharre auf »hohem Niveau«, es sei sogar noch ein Anstieg zu beobachten - von 32 Sachbeschädigungen im Jahr 2015 auf 44 im Jahr 2016. Hinzu kommen sieben Brandstiftungen. »Das dürfen wir nicht hinnehmen. Nichts, rein gar nichts, kann Angriffe auf Menschen rechtfertigen - egal wer es ist oder woher er stammt«, sagt Johlige. Neben einem hohen Ermittlungsdruck brauche es vor allem das Bewusstsein im Alltag, dass diejenigen, »die Hass und Hetze verbreiten oder andere angreifen und verletzen oder Sachen beschädigen, nicht auf Zustimmung in der Gesellschaft stoßen«. Dazu könne und müsse jeder Einzelne seinen Beitrag leisten.

Zurückgegangen ist lediglich die Zahl der Übergriffe auf Helfer von Willkommensinitiativen. Wurden im Jahr 2015 noch 22 derartige Straftaten verübt, so waren es 2016 nur noch sechs, eine davon im letzten Quartal, am 9. Dezember in Birkenwerder.

Neben den Attacken auf Flüchtlinge gibt es noch rassistische Übergriffe auf Menschen, die nicht als Flüchtlinge nach Brandenburg gekommen sind. Dem Innenministerium sind für das vierte Quartal vergangenen Jahres acht derartige Fälle von rassistisch motivierter Hasskriminalität bekannt. Zusätzlich gibt es noch andere rechte Delikte: So hob ein angetrunkener Mann am Donnerstagabend in einer Tankstelle in Lichtenow den rechten Arm und brüllte dazu »Heil Hitler!«, und in Forst wurde am Donnerstagnachmittag bemerkt, dass Unbekannte in der Max-Fritz-Hammer-Straße die Fassade eines Hauses mit einem etwa ein Meter großen Hakenkreuz beschmiert hatten.

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