Wo bitte geht’s zum Glück?

Zwischen Freiheitslust und Dauerstress: Frauen Mitte 30 erzählen

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 8 Min.

Müsste es ihnen nicht gut gehen? Im Frieden geboren, nie Hungerzeiten durchlitten wie ihre Großmütter noch. Materielle Sorgen sind abgefedert durch ein soziales Netz, in das man freilich erst einmal sehr tief fallen muss, oder eben durch die Eltern, die notfalls den Rücken stärken. Es ist nichts Besonderes mehr, als Frau eine Ausbildung abgeschlossen oder studiert zu haben. Dieser Erfolg scheint indes nicht solche Sicherheit zu geben wie einst, denn am Wendepunkt zwischen Ausbildung und Beruf fangen die Schwierigkeiten oft erst an. Was tun? Ist einem das Erlernte dabei überhaupt von Nutzen?

Hat man diesen jungen Frauen vielleicht Flöhe ins Ohr gesetzt, als sie Kinder waren? Mit besten Absichten natürlich, um ihnen Mut zu geben und sie anzuspornen zu fleißigem Lernen. Alles könnten sie werden, bekamen sie zu hören, wenn sie nur wollten. Von wegen! Zudem steht die Frage: Was will ich denn? So viele Wege, die man gehen könnte - theoretisch. Da der Arbeitsmarkt flexible Menschen braucht, gilt es als Tugend, zu Ortswechsel und Neuorientierung bereit zu sein. Wie viel Kraft frisst der Zweifel: Sollte ich mich nicht verändern, beruflich oder privat? Stecke ich in meiner Entwicklung fest, wenn ich nicht immer wieder die Herausforderung suche?

Lebe deinen Traum! Wie viele Bücher gibt es allein schon zu diesem Thema, wie viele Zeitschriftenartikel. Da ist Selbstverwirklichung schon keine Verheißung mehr, sie wird zum Gebot. Mit 20, stellt man sich vor, ist das Traumland noch irgendwo in der Ferne, oder man denkt gar nicht so sehr daran. So lange wie möglich will man ausleben, was Jugendlichkeit einem so bietet. Doch plötzlich ist da das Gefühl einer Schwelle oder eines Scheidewegs.

»Die 35 ist ein Drachen«, sagt zu Beginn dieses Buches die eine »Komplizin« zur anderen. Bei dem Begriff bleibt es. Warum nicht Freundin? Weil die gemeinsame Arbeit an diesem Manuskript sie zusammenschweißt, sie aber noch nicht wissen, ob es sie wieder auseinandertreibt? »Alles auf jetzt« - der Titel passt. Alles scheint vorläufig; für manche heute 35-Jährige wird das womöglich auch mit 50 nicht anders sein. Und mit 60? Sicher, glaubt man Büchern und Filmen, kann jemandem auch mit 75 noch die große Liebe begegnen, oder er/sie findet endlich jenes Traumziel, das allzu lang verleugnet wurde. Aber etwas gibt es, wofür es mit 50 wirklich zu spät ist. Ein Mann könnte sich unter Umständen noch für Kinder entscheiden, eine Frau nicht.

Das Ticken der biologischen Uhr, mit 35 lässt es sich nicht mehr überhören. Wenn eine zu diesem Zeitpunkt keine Kinder hat, sich aber welche wünscht, setzt ihr das einigermaßen zu. Und wenn sie beschlossen hat, kinderlos zu bleiben, der Traummann nicht in Sicht ist oder es mit dem Schwangerwerden nicht klappt (kommt häufiger vor, als zugegeben; meist liegt es am Mann), spürt sie doch fragende Blicke auf sich: Will die nicht, kann sie nicht? Zieht sie die Karriere vor? Personalchefs finden es dagegen gut, wenn die Bewerberin sagt, Kinder kämen nicht in Frage und dies sei der Traumjob, für den sie alles geben würde.

Christine Färber und Simone Unger, beide auch in diesem Alter, haben 15 Frauen Mitte 30 »über Kinder, Sex und Selbstverwirklichung« sprechen lassen. Katarina hat ihr Studium geschmissen, um in München eine Galerie zu eröffnen. Inge, selbstständig (was immer man darunter versteht), hat begonnen, möglichst viele Männer kennenzulernen, um ihrer Weiblichkeit gewiss zu werden. Juliane hat einen Freund mit Kindern, lebt aber nicht mit ihm in einer Wohnung und liebt ihren Kater. Luiza ist Master in European Studies und will nur dort arbeiten, wo sie auch surfen gehen kann. Da mögen sich Ältere an den Kopf greifen. Aber Luiza sagt auch, dass sie »überzeugt sein muss« von dem, was sie tut. Schwierig, da etwas Passendes zu finden. Also wenigstens Wind und Wellen spüren.

Auf Seite 58 taucht in einer Zwischenbilanz der Autorinnen der Name Maxie Wander auf. Ältere Leserinnen und Leser werden sich an »Guten Morgen, du Schöne« erinnern, diesen Band von 1977, in dem die Autorin 19 Frauen zwischen 16 und 92 von ihren Erfahrungen und Sehnsüchten erzählen ließ. Wie selbstbewusst sie von ganz Persönlichem sprachen, ist damals für DDR-Verhältnisse aufsehenerregend gewesen - und wäre heute nichts Besonderes mehr. Die Offenheit vielleicht, weil jeder sich doch in einem guten Licht darstellen möchte, aber das Ich-Sagen ist so normal wie nur irgendwas.

Eher gibt es mit dem Wir Probleme. Verantwortung für andere, für eine Allgemeinheit gar? Aber woher soll denn ein solches Gesellschaftsbewusstsein kommen, das bestenfalls in individueller Moral eine Basis hat? Neoliberale Ökonomie führt zu Vereinzelung. Sich selbst antreiben, um noch mehr ausgepresst zu werden? Oder aussteigen aus dem Hamsterrad? Das Wettrennen um die vermeintlich besten Plätze einfach nicht mehr mitmachen?

Es nennt sich Effizienz, die Personalkosten zu senken und immer mehr Lasten auf immer weniger Schultern zu verteilen. Wenn solche Verhältnisse nicht insgesamt zu ändern sind - es wäre längst an der Zeit, die Wochenarbeitszeit für alle bei gleichem Lohn zu senken -, ist es doch legitim, sie wenigstens für sich selbst abzulehnen. Oder? Beim Lesen ist man immer wieder herausgefordert zum Fragen und Nachdenken auch über die eigenen Vorstellungen von Glück. Es ist das Buch einer Generation von Frauen, aber es betrifft Ältere und Männer ebenso.

Arbeit als Lebenssinn? Vermittelbar ist das nur zusammen mit einem gesellschaftlichen Ideal. Fremde Profitmaximierung zum persönlichen Sinn umzudeuten, das wäre Selbstbetrug. Dafür haben die Frauen in diesem Buch ein Gespür. Bemerkenswert, wie genau sie ihre Situation reflektieren. Aber der Sensibilität fürs eigene Befinden steht eine weitgehende Unfähigkeit gegenüber, gesellschaftliche Verhältnisse zu durchschauen. Alles scheint offenbar so festgefügt, dass man schon das Interesse daran verloren hat. Da vermögen auch die Autorinnen, die sich am Anfang, am Schluss und zwischendurch in eigenen Texten »outen«, kaum etwas hinzuzufügen.

Wie Martina, Altenpflegerin im Schichtdienst und mit zwei Kindern, sich abstrampelt mit allen ihren Pflichten, lässt an die Generation der Mütter und Großmütter denken. Wobei die womöglich nicht mal geklagt hätten. Diesem Vorbild nacheifern? Martina ist eine starke Frau, doch mit ihren Kräften am Ende. So, wie die Arbeit in ihrem Altenheim organisiert ist, mit viel zu wenig Personal, wird es für sie unerträglich.

Dass sich Menschen bei ihrer Arbeit auch wohlfühlen sollten, allein die Frage schon würde auf den meisten Chefetagen für höhnisches Gelächter sorgen: Gehen Sie mit Ihrer Sozialromantik doch woandershin!

Auch wenn Ausbeutung mancherorts durch eine Art Unternehmenskultur kaschiert wird oder wenn auf kollegialer Ebene ein verantwortliches, solidarisches Miteinander funktionieren mag (ist ja auch besser für jeden, wenn man einander hilft), vielerorts wird der Verschleiß der menschlichen Arbeitskraft nicht nur in Kauf genommen, sondern forciert.

Staatsziel ist eben nicht das Wohlergehen eines jeden. Darum, heißt es, müsse man sich in einer freiheitlichen Ordnung schon selber kümmern. Die Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, nehmen das ernst.

Dabei sind in dieser Gesellschaft Bedürfnisse gewachsen, die früher undenkbar waren. Nicht zuletzt durch die Medien hat sich ein Glücksanspruch verbreitet, den junge Frauen auch auszuleben versuchen. Insofern hat tatsächlich eine Emanzipation stattgefunden. Die Frage ist, wie Männer dabei mithalten können, inwieweit auch sie durch die patriarchalische Ordnung zugerichtet, ja beschädigt werden. Frauen sowieso. Manche möchten dann lieber den männlichen Weg kopieren (Karrierefrau im schwarzen Hosenanzug). Tradierte weibliche Attribute werden abgelehnt, um nicht schwach und angreifbar zu wirken. Pauschale Kampfansagen ans andere Geschlecht stärken die eigene Identität. Sie sind nicht selten, auch wenn sie in diesem Buch fehlen. Ja, gibt es überhaupt ein Geschlecht? So fragen manche.

Tatsache ist, dass Frauen beruflich zurückstecken müssen, zumal wenn sie Kinder haben, weniger verdienen usw. Insgesamt übernehmen immer noch zwei Drittel der Frauen hierzulande einen Großteil der Hausarbeit sowie die Betreuung von Kindern und anderen Familienangehörigen.

Es scheint, als ob viele der 35-Jährigen in diesem Buch keinesfalls in ein solches Lebensmodell hineingeraten möchten. Deshalb unbedingt Selbstbestimmung auch in sexueller Hinsicht, sich selber ausprobieren, sich niemandem hörig machen. Familie? Nicht selbstverständlich. Oft ist von »Beziehung« die Rede. Pragmatisch. Das Wort »Liebe« kommt selten vor.

Und was Kinder betrifft: Für Anne, Frauenärztin, hat sich endlich dieser Wunsch erfüllt. Ist sie nun wirklich glücklich, fragt sie sich. Dieses In-sich-hinein-Horchen, dieses dauernde Zweifeln, ob man etwas anders, besser hätte machen können, dieses Vergleichen, ob Gleichaltrige nicht an einem vorbeigezogen wären! Wenn Glück als eine Art Leistungsziel erscheint, ist Unglück doch programmiert. Die Vorstellung, auf der Glücksskala immer weiter nach oben kommen zu müssen, führt zu Dauerstress. Und es wiederholt sich das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Die Begehrlichkeiten von Ilsebill wurden immer größer, nur für Momente fühlte sie sich vom goldenen Fischlein befreit. Ihr Unglück war: Nie konnte sie zufrieden sein.

Christine Färber und Simone Unger: Alles auf jetzt. Frauen Mitte 30 über Kinder, Sex und Selbstverwirklichung. Ch. Links Verlag. 198 S., br., 18 €.

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