Hinsehen oder Wegschauen?

Streit um Bewertung der Zustände in Heimen durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Schleswig-Holstein

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Unhaltbare Praktiken und Zustände in einzelnen Einrichtungen der schleswig-holsteinischen Heimerziehung bescherten dem Kieler Landtag in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode den einzigen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA). Der Abschlussbericht liegt nun vor und kommt in dieser Woche in der letzten Plenardebatte vor der Landtagswahl am 7. Mai auf den Tisch.

Der Heimskandal um die Haasenburg-Einrichtungen in Brandenburg brachte bereits eine jahrelange Kultur des Wegsehens ans Tageslicht, ehe auch Vorgänge beim »Friesenhof« als Träger in Dithmarschen die Öffentlichkeit aufrüttelten. Die Drangsalierung von Mädchen, Strafpädagogik und andere zweifelhafte Erziehungsmethoden wurden auf Drängen der LINKEN in Hamburg und der Piratenpartei in Schleswig-Holstein ab Juni 2015 publik - Verfehlungen, über die bereits seit 2007 Beschwerden vorlagen und spätestens seit 2009 Interventionen der Behördenaufsicht.

Zwangsläufig stellte sich die Frage nach der Verantwortung beim Landesjugendamt und auf politischer Ebene. Da fortan nicht gerade eine Aufklärungsmentalität vorherrschte, wurde das Thema schnell ein Politikum und ist bis heute ein Fall für staatsanwaltliche Ermittlungen, wenn es zum Beispiel um sexuellen Missbrauch geht, aber auch um Freiheitsberaubung und andere Vorwürfe. Im September 2015 folgte die Einrichtung des PUA, dem Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) prophezeite, er werde kaum wichtige neue Erkenntnisse bringen, wofür er scharf kritisiert wurde. Studiert man nun den 1180 Seiten umfassenden Abschlussbericht nach 62 PUA-Sitzungen (davon 27 öffentlich) kann Albig im Nachgang sogar zugestimmt werden.

Die CDU, die anfangs der Heimaufsicht und in der Verantwortung dem zuständigen Sozialministerium Fehlverhalten vorhielt, musste im PUA-Verlauf zurückrudern, konnte Ministerin Kristin Alheit (SPD) nicht nachweisen, dass sie über die Missstände im »Friesenhof« frühzeitig informiert war. Die PUA-Vorsitzende Barbara Ostmeier (CDU) räumte jetzt - um Konsens bemüht und sich rechtfertigend - ein, dass die 14-monatige Ausschussarbeit doch bundesweit dafür gesorgt hätte, dass beim Thema Heimerziehung jetzt genauer hingeschaut werde. Alheit hatte als Folge der »Friesenhof«-Affäre nach Kommunikationspannen in ihrem Ministerium die Informationswege verändert und das Personal der Heimaufsicht aufgestockt. Und fortan wurden nach der Ära »Friesenhof« sogar Betriebsgenehmigungen für andere freie Träger widerrufen, als Fehlverhalten in Einrichtungen bekannt wurde.

Betroffene aus »Friesenhof«-Einrichtungen berichteten im PUA über die Erniedrigungen, die sie zu ertragen hatten. Gleichwohl halten die Vertreter der Regierungsparteien von SPD, Grünen und dem SSW fest, dass sie keine generellen Kindeswohlgefährdungen haben feststellen können. CDU und FDP sehen das bezogen auf den »Friesenhof«-Charakter anders, wurden die Jugendlichen doch zum Teil regelrecht »weggesperrt«. Für die Piraten steht im Gegensatz zur Ausschussvorsitzenden fest, dass die »Tradition des Wegschauens« auch weiterhin nicht gebrochen werde. Der Piraten-Landesvorsitzende und Abgeordnete Wolfgang Dudda ergänzt: »Das lässt Schlimmes für die Zukunft der Heimlandschaft befürchten.« Er hat bei der politischen Konkurrenz gegenseitige Rücksichtnahme beobachtet, etwa bei der Benennung von Schuldzuweisungen. Aus seiner Sicht ebenfalls bedenklich: Aus Furcht vor Regressansprüchen von ins Visier geratenen Trägern seien trotz festgestellter Mängel Sanktionen der Heimaufsicht im Landesjugendamt ausgeblieben.

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