Freiheit mit Mangas und pinkem Prinzessinnenkostüm

Robert D. Meyer über die Forderung, Cosplayer von der Leipziger Buchmesse zu verbannen

  • Lesedauer: 3 Min.

SWR-Literaturredakteur Carsten Otte muss eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie es im Literaturbetrieb abzulaufen hat. In seiner Bilanz zur Leipziger Buchmesse auf swr.de beklagt der Kritiker, dass »das heterogene Konzept zwischen Buchmesse und Messefasching« nicht mehr funktioniere. Mit »Fasching« verwechselt Otte die sogenannten Cosplayer, meist junge Menschen, die in die Rolle ihrer Helden aus japanischen Animes, Mangas, Comis, aber auch Computerspielen schlüpfen. Leider ist nicht verbrieft, ob der SWR-Kritiker je einen Manga in den Händen hielt, geschweige denn ein paar Worte mit einem Jungen im Prinzessinnenkostüm oder einem weiblichen Ork gewechselt hat.

Otte ist aber sicher: Diese Fantasiewesen hätten auf der Buchmesse nichts zu suchen, da sie dem ernsthaften Literaturbetrieb mit Ignoranz begegneten. Unter ernsthaft sind in diesem Fall jene Schriftsteller, Publizisten, Politiker und Künstler zu verstehen, die »an die Errungenschaften von Aufklärung und Rechtsstaatlichkeit« erinnerten und in »zahlreichen engagierten Wortbeiträgen« das Bildungsideal priesen oder eindringlich vor einem türkischen Diktator Erdogan warnten.

Nachdenken, Appellieren und Selbstvergewissern störten dagegen minderjährige Cosplayer, die »Gefallen an pornographischen Posen finden« würden.

Die Kolumnistin Margarete Stokowski entgegnete Otte auf spiegel.de, es sei falsch, »die kostümierten Jugendlichen jetzt wegzuschicken, weil ›die politische Weltlage und die neue Ernsthaftigkeit im Literaturbetrieb‹ das angeblich nötig machen«. Man dürfe nicht so tun, als habe es in den letzten Jahrzehnten nicht auch politische Situationen gegeben, »die todernst und hoffnungslos waren«. Stattdessen stehen Cosplayer und Leute mit Glitzerperücken »auch für die Freiheit, über die wir reden«.

Um Stokowskis These zu überprüfen, braucht es nur eine simple Frage: Wie wahrscheinlich ist es, auf einer Literaturmesse in der Türkei auf eine Person im Mangakostüm zu treffen? Vermutlich würde es dann heißen, »es gibt kein Menschenrecht, überall in Unterhose aufzutreten, und man geht auch nicht im Sexual Fantasy Outfit auf eine Beerdigung. Das ist meiner Meinung nach stillos.« Die Begründung stammt von keinem AKP-Politiker, sondern aus einem Antwortschreiben Ottes auf die Kritik, die er sich mit seiner Forderung nach einer Verbannung der Cosplayerszene von der Buchmesse zuzog. Wahrscheinlich hätte ein Vertreter Erdogans nicht von »Sexual Fantasy Outfits« gesprochen, wohl aber ein Verbot ebenfalls mit den vermeintlich geltenden Sitten begründet, um die es Otte im Kern geht.

Zu Ende gedacht, landet seine Argumentation unweigerlich bei den piefigen Moralvorstellungen des letzten Jahrhunderts. Also in einer Zeit, wo »Das gehört sich nicht!« auch für Jungs galt, die im pinken Prinzessinnenkostüm auf eine biedere Buchmesse gehen wollten. Zeiten also, wie sie in der Türkei herrschen und hierzulande von der AfD herbeigesehnt werden.

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