Gute Räder, aber kein guter Rat

Lebensart: Wie Einsamkeit einem Manne die Sinne trüben kann

Ein kleines Dorf in Sizilien; mein Bekannter Roberto Alajmo berichtete mir darüber. Viel Sonne, wenig Menschen und wenig Arbeit für die Dagebliebenen. Im Sommer kommen ein paar Touristen, die die zwei Herbergen des Ortes frequentieren und ein wenig Geld in den Bars und Lebensmittelläden lassen. Einmal ist auch ein Paar mit Fahrrädern unter ihnen. Es quält sich die steilsten Straßen hoch. Plötzlich stockt der Mann. Er steigt vom Fahrrad ab und flucht. Die Kette ist gerissen. Niemand kann ihm helfen. Es gibt hier keinen Fahrradladen, nicht einmal einen Fahrradbesitzer. Das Paar nimmt den Bus in die nächste größere Stadt. Einer aus dem Ort, Cosimo, war Augenzeuge. Der Mann hatte ihm gesagt: »Ihr habt tolle Berge hier. Ein Paradies für ambitionierte Fahrradfahrer. Aber ihr braucht einen Laden zur Reparatur und Ausleihe. Du wirst sehen, dann kommen die Leute.« Cosimo fand die Idee gut. Er machte das Erdgeschoss des Hauses seiner Familie frei, kaufte Werkzeug, Ersatzteile und einige Räder. Doch niemand kam. Das erste Jahr nicht, das zweite nicht und auch nicht das dritte. Die Leute machten sich über Cosimo lustig. Anfangs hatten sie noch seinen Laden bestaunt. Später mieden sie ihn, als ob sie Angst hätten, das Pech, das Cosimo anhaftete, würde auch auf sie überspringen. So lebte Cosimo allein in seinem Laden, täglich beschäftigt, seine Räder zu putzen. Nur seine Mutter kam, um ihm Essen zu bringen. Eines Tages kamen auch ein paar gut gekleidete Männer. Sie hatten ein Kind dabei. Sie fragten: »Du lebst allein?« Cosimo bejahte. »Können wir für einige Zeit dieses Kind bei dir lassen? Du versorgst es und zeigst es nicht in der Nachbarschaft rum. Wir bezahlen dir das auch ordentlich.« Cosimo war einverstanden. Er behielt das Kind einige Tage. Dann kamen die Männer und holten es. Sie ließen wie versprochen Geld da. Ein paar Wochen später trafen sie wieder ein, diesmal mit einem anderen Kind. Das Verfahren hatte sich eingespielt. In der Zeitung las Cosimo oft etwas über Kindesentführungen. Überrascht stellte er fest, dass diese Zeiträume mit dem Aufenthalt der Kinder bei ihm übereinstimmten. So ein Zufall, dachte er nur und beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Und er freute sich schon auf das nächste Kind, mit dem er in seiner We...

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