Jetzt also ist »die Katze aus dem Sack«

Erwiderung auf Gregor Gysis Vorstellungen vom modernen Sozialismus

»Ein moderner Sozialismus« hieß der Artikel von Gregor Gysi (ND vom 3./4. Februar 2007) - basierend auf einer Rede des Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, gehalten an der Universität Marburg. Hier eine Replik von KLAUS BLESSING und MATTHIAS WERNER, die jüngst durch ihr Buch »Die Schulden des Westens« von sich reden machten.

Gregor Gysi wirft in seinem Artikel Grundfragen der weiteren Politik der Linken auf. Fast zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus in Europa ist die Linke immer noch weit davon entfernt, die Ursachen für das Scheitern umfassend analysiert, daraus die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen und Grundzüge eines Sozialismus der Zukunft skizziert zu haben. Gysis Text »Ein moderner Sozialismus« weckt Hoffnung, dass sich einer der Vorsitzenden der Linksfraktion nunmehr dieser Thematik angenommen hat. Jedoch bereits die Formulierung »modern« lässt aufhorchen. Was sollen wir darunter nach Gysis Auffassung verstehen? Gysi liefert eine scharfe Abrechnung mit dem Neoliberalismus und seinen unsozialen Konsequenzen. Dem wird kein Linker widersprechen. Aufgabe der Linken kann es aber nicht sein, nur die Erscheinungen zu kritisieren. Sie muss Wurzeln bloßlegen, grundsätzliche Lösungen aufzeigen. Gysi bekennt sich ausdrücklich zu Keynes. Der wollte die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus, insbesondere den Krisenzyklus, durch stärkeren Einfluss des Staates und fiskalische Regelmechanismen eindämmen. Keynes wollte aber keinen Sozialismus. Vielmehr wollte er seine Reformen im Rahmen der liberalen Demokratie Großbritanniens verwirklichen, auch um die Gefahr einer sozialistischen Revolution zu bannen. Wenn wir Gysi richtig verstehen, hofft auch er darauf, »dass es unseren Gesellschaften gelingt, im Rahmen sozialer Lernprozesse sich so zu verändern, dass die emanzipatorischen Errungenschaften der bürgerlichen Ära bewahrt und ihre desaströsen Momente überwunden werden«. Damit ist die Katze aus dem Sack: Erhaltung und Festigung der bürgerlichen Ära bei Kittung ihrer schlimmsten Verwerfungen, das ist Gysis Verständnis vom »modernen« Sozialismus. Gysi geht sogar so weit, zu behaupten: »Das entspricht wohl ungefähr dem, was Marx sich unter einer sozialistischen Gesellschaft vorgestellt hat.« Zu der Kernfrage von Marx, der nach Eigentum und Macht, trifft Gysi widersprüchliche Aussagen. Sie münden in seiner bekannten Position, dass es gar nicht um Macht und Eigentum geht, sondern um deren Inhalte. Gysi beruft sich zu Recht auf das Grundgesetz. Er leitet daraus ab, dass die Eigentümer verpflichtet werden müssten, sich an sozialen und ökologischen Standards zu orientieren. Das Grundgesetz beinhaltet aber die Möglichkeit, zu enteignen, wenn das Eigentum nicht mehr dem allgemeinen Wohle dient. Will sich Gysi davon verabschieden? Der Machtmissbrauch der Eigentümer des globalisierten Finanz- und Großkapitals gefährdet die Existenz großer Teile der Menschheit. Dem kann man nicht mit Verpflichtungen entgegentreten. Diese Macht kann nur durch Enteignung gebrochen werden. Das sollten Sozialisten nicht in Abrede stellen. Gysis Problem beginnt offenkundig mit seiner Voreingenommenheit gegenüber dem gescheiterten real existierenden Sozialismus. Zweifelsfrei hatte dieser ökonomische und politische Mängel, die keinesfalls zu negieren sind und nicht wiederholt werden dürfen. Wer aber den real existierenden Sozialismus damit abqualifiziert, »dass die Wirtschaft im Staatssozialismus als unproduktive Mangelwirtschaft endet«, der leugnet historische und ökonomische Tatsachen. Gysi müsste doch annähernd bekannt sein, unter welchen äußerst komplizierten inneren und äußeren Bedingungen sich die DDR-Wirtschaft entwickeln musste und welche international anerkannte Leistungen sie trotzdem oder gerade deswegen vollbrachte. Bei einer derart abwertenden Haltung zum real existierenden Sozialismus der Vergangenheit, der Leugnung seiner Errungenschaften und unübersehbaren Vorteile gegenüber dem real existierenden, globalisierten Kapitalismus kann Gysi nicht in der Lage sein, einen Sozialismus der Zukunft zu entwerfen. Gysi hat sich bekannt. Er will die Erhaltung des Systems, das er um die desaströsen Momente bereinigen möchte. Wenn diese Position noch mehr Eingang in die theoretische und praktische Politik der Linken findet, hat diese Partei keine Zukunft. Wir benötigen eine Linke, die den Menschen einen Ausweg aus der die Menschheit gefährdenden Allmacht des Kapitals weist. Wir brauchen von und mit dieser Partei Konzepte, die die Erfahrungen des real existierenden Sozialismus durchaus kritisch, aber vor allem schöpferisch auswertet und Menschen für eine Veränderung des kapitalistischen Systems gewinnt. Natürlich hat Gysi Recht, wenn er meint, die Zeit sei noch nicht reif dafür und die Kräfte seien noch nicht entwickelt. Sie sind auch für Gysis Reformen nicht entwickelt. Welche Kräfte können die Finanzmärkte regulieren, Hedge-Fonds verbieten und Eigentümer zu Verpflichtungen zwingen? Damit wir nicht falsch verstanden werden: Natürlich ist alles zu unterstützen, was der Milderung der schlimmsten Erscheinungen neoliberaler Politik dient. Aber die Aufgabe der Linken kann nicht nur darin bestehen, Kräfte zu stärken, um Erscheinungen des Systems zu mildern, sondern sie muss das System als solches verändern wollen. Gregor Gysi sollte sich entscheiden, ob er an der Ausarbeitung eines über den Kapitalismus hinaus weisenden sozialistischen Gesells...

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