»Night in the City«

Berlinale-Tagebuch von Simone Schmollack

F rüher, als ich noch nicht in der Jury für den Friedenfilmpreis sitzen durfte, habe ich die Berlinale aus einem einzigen Grund besucht: der Filme wegen. Es gibt aber Leute, die zieht etwas anderes an: Sie lassen keine Party aus. Man könnte meinen, Berlin feiert im Februar auf einen Schlag Weihnachten, Silvester, Ostern sowie die Geburtstage der Hälfte aller Urberliner zusammen. Nahezu alle Klubs, Restaurants, Partyhallen und Eventräume sind ausgebucht. Wer in diesen Tagen heiratet oder alle Kinder, Enkel, Urenkel, Freunde und ehemaligen Kollegen zu seiner Goldenen Hochzeit einladen will, sollte dies besser weit außerhalb Berlins tun. Im Grunde sind alle Partygänger aus der Filmbranche. Sie haben gar kein Problem damit, Alkoholmissbrauch und Schlafentzug mit dem Satz zu begründen: »Die Party ist wahnsinnig wichtig für mich, vielleicht das wichtigste Event im ganzen Jahr. Dort treffe ich alle, dort wird über meine Karriere entschieden.« Mit »sie« sind erwartungsgemäß Regisseure, Produzenten, Förderer, andere Geldgeber und außerdem noch deren Adlaten gemeint. Ich kenne ein paar junge Filmemacher und Schauspieler, die jedes Jahr auf die Partys hechten. Tage vorher schon möffen und töffen sie sich, trainieren vor dem Spiegel, einen guten Eindruck zu machen, und lernen ihren Text für den Durchbruch. Die Anpirschstrategien versetzen mich immer wieder in Erstaunen. Hat die Party begonnen, stürmen die Protagonisten in den Raum, als gelte es, einen 100-Meter-Lauf zu gewinnen, um dann betont gelangweilt herumzustehen. Sie sagen, sofortiges Zuerkennengeben sei kontraproduktiv. Und schon gar nicht dürfe man gleich mit der Tür ins Haus fallen. Irgendwann schlendern sie von Tresen zu Tresen, dabei rücken sie dem Subjekt ihrer Begierde immer näher. Eine regelrechte Performance, ein Film! »Warum wartest du, bis er besoffen ist?«, fragte ich einmal einen Drehbuchautoren, der sich von einem bekannten deutschen Regisseur einiges erhoffte. Die Filme des Regisseurs, dessen Namen ich aus Datenschutzgründen nicht nenne, habe ich immer gemocht. »Du verstehst aber auch gar nichts«, zischte der Autor. »Man muss den richtigen Moment abpassen.« Der schien gekommen, als der Große Zampano samt seines Weinglases und einer dunklen Schönheit vom Hocker kippte. Mein Bekannter hüpfte zum Gefallenen, half auf und flüsterte ihm seine Mission ins Ohr. Der Zampano nickte, lachte, winkte ab, machte Oh und Ah, klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. Als er wieder fest auf den Füßen stand, kam seine Assistentin mit dem Mantel, schob Schönheit und Drehbuchautor zur Seite und zerrte den Hoffnungsträger zur Tür hinaus. Die Moral von der Geschichte: Meide Partys mit Regisseuren, deren Filme du zwar kritisch...

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