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»Die wollen nur prügeln«

Fußballleben in Italien normalisiert sich nach Polizisten-Tod

  • Tom Mustroph, Catania
  • Lesedauer: 3 Min.
In Rom und Mailand wird die Fußballmaschinerie wieder ins Rollen gebracht. Nach der einwöchigen Spielpause im italienischen Fußball - ausgelöst durch den Tod des Polizeikommissars Filippo Raciti bei Ausschreitungen am Rand des Erstligaspiels Catania - Palermo - hält die Normalität wieder Einzug. Wenig ist geblieben von den Versprechungen der Politik. Drastische Maßnahmen hatte etwa Sportministerin Melandri angekündigt und ein unbestimmtes Aussetzen des Spielbetriebs gefordert. Sonntag ist wieder Spieltag. Basta. Die Vereine haben sich durchgesetzt. »Der Fußball ist eine Industrie. Man kann die Maschine nicht stoppen«, bemerkte Ligapräsident Antonio Mattarese trocken. Innenminister Amato hat zumindest eine Sicherheitsüberprüfung der Stadien durchgesetzt. In fünf der zehn Stadien des kommenden Spieltags wird wegen Sicherheitsmängeln kein Publikum eingelassen. Justizminister Mastella hat das Strafrecht verschärft. Die Mindeststrafe für bewaffneten Widerstand gegen die Staatsgewalt wurde beispielsweise von drei auf fünf Jahre Haft und das Zeitfenster für Festnahmen von 36 auf 48 Stunden erhöht. An der abschreckenden Wirkung darf man zweifeln. Sogar kontraproduktiv dürfte die Abschaffung des organisierten Kartenverkaufs für Fans der Gästeteams sein. Jeder kann jetzt unkontrolliert Tickets erwerben. Das wirkungsvollste Instrument gegen Hooligans ist auf den ersten Blick das präventive Stadionverbot. Doch die brutalsten Schläger kommen gar nicht mehr ins Stadion. Sie lauern draußen den gegnerischen Anhängern auf und kühlen ihr Mütchen an der Polizei. »Es handelt sich um 100, 200 Leute«, erzählt der Catania-Fan Pino Scacciante. »Die wollen nur prügeln. Nach Spielende mischen sie sich unter die 2000 Ultras - und die Gewalt eskaliert.« Scacciante war an dem Tag des Unglücksspiels im Stadion. Er ist bestürzt. Bei der Trauerfeier für Filippo Raciti hängt er ein großes Transparent mit der Aufschrift »Catania sagt nein zur Gewalt« aus dem Fenster eines Hotels gegenüber der Kathedrale. »Ich will nicht, dass Catania in der ganzen Welt nur mit diesen Ausschreitungen in Verbindung gebracht wird«, sagt Pino Scacciante. Der Tod des Polizisten hat die Bevölkerung am Fuße des Ätna aufgewühlt. Die Prozession zu Ehren der Stadtheiligen St. Agata war geprägt von Gebeten für Raciti. Die Aktivistengruppe Cataniainpiazza forderte per Flugblatt: »Wir müssen gegen den Niedergang der Stadt ankämpfen. Schluss mit Egoismus und Gewalt.« Ein weiteres Flugblatt lädt Beteiligte an den Ausschreitungen ein, ihr Wissen per Telefon anonym weiterzugeben. Die Hotline ist von der Antimafia-Organisation ASAEC eingerichtet. Sie steht gewöhnlich Geschäftsleuten zur Verfügung, die Rat suchen gegen Schutzgelderpressungen. »Wir wollen mit unseren Kompetenzen helfen, diese Bluttat aufzuklären«, sagt Adriana Guarnaccia, Vorsitzende von ASAEC. Als Täter präsentiert die Polizei inzwischen einen 17-jährigen ehemaligen Karatekämpfer. Er hat zugegeben, mit einem Stück Eisenrohr auf eine Gruppe von Polizisten losgegangen zu sein. Opfer Filippo Raciti befand sich in der Gruppe. Der Jugendliche bestreitet indes, Raciti den tödlichen Schlag versetzt zu haben. Gewalt in Catania trägt viele Gesichter. Durch die Ausschreitungen ist die ganze Welt darauf aufmerksam geworden. Den Catanesen selbst ist die bedrohliche Situation stärker bewusst geworden. Es reicht ihnen. Sie wollen sich von der Gewalt befreien.
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