Sklaven der Brexit-Verhandlungen

Die neue zweisprachige Generation der »Insel-Polen« will kaum in ihre Heimat zurückkehren und würde der britischen Wirtschaft fehlen

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit nunmehr dreizehn Jahren sind die »Insel-Polen« fester Bestandteil der britischen Kulturlandschaft, obgleich sie keineswegs unter Denkmalschutz stehen. Das Vereinigte Königreich war neben Irland und Schweden eines der ersten Länder, die nach dem EU-Beitritt Polens 2004 Arbeitnehmerfreizügigkeit zuließen.

Die polnischen Einwanderer blieben oft nur zeitweilig in Großbritannien, um mit dem dort verdienten Geld später in Polen ein neues Leben zu beginnen. Viele machten sich jedoch auch auf den Inseln über die Zeit selbstständig, holten anschließend ihre Familien nach. An der Themse wächst eine neue zweisprachige polnische Generation heran, bei der man bezweifeln darf, dass sie in ihre Heimat zurückkehren will. Vorausgesetzt, sie darf nach dem faktischen Austritt Großbritanniens aus der EU weiterhin dort leben.

Während EU-Kommissionspräsident Juncker kürzlich nach seinem London-Besuch einräumte, er sei nun »zehnmal skeptischer als zuvor«, so bewegt sich auch hinsichtlich der Situation polnischer Migranten vieles im Bereich des Spekulativen.

Grund genug für den polnischen Alleinherrscher Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), in Downing Street 10 anzuklopfen. Sein Treffen mit Premierministerin Theresa May im März wurde vom Terrorangriff an der Westminster-Brücke überschattet und ist in der internationalen Presse etwas untergegangen.

Der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei traf sich mit seinen Landsleuten in der polnischen Botschaft. Dort bekam er zu hören, die »Insel-Polen« fühlten sich wie »Sklaven der Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London«. Der PiS-Chef selbst äußerte sich zu den Gesprächen in England wortkarg, unterstrich aber, dass er die Situation seiner Landsleute bereits nach der ersten Phase der Verhandlungen gelöst haben wolle. Dies wird wohl vorerst nicht eintreten.

Dabei ist für viele Polen die aktuelle Unsicherheit höchst problematisch, beinahe 900 000 leben in Großbritannien und stellen damit die größte Gruppe der EU-Ausländer. Brexit-Befürworter schüren Ängste vor unkontrollierter Einwanderung, was nicht nur Muslime, sondern ebenso die polnischen Gäste zu spüren bekommen. Mangel an Arbeitsplätzen, ein überlastetes Gesundheitssystem, überfüllte Schulen sowie Not auf dem Wohnungsmarkt werden hauptsächlich auf die Migrationswelle seit 2004 aus Osteuropa zurückgeführt. Wirtschaftsexperten warnen indes vor einem massiven Exodus der Polen. »Insbesondere die britische Gastronomie könnte betroffen sein, denn hier kommen inzwischen 15 Prozent der Angestellten aus Polen. Ich befürchte, dass sich diese Arbeitskräfte nicht von heute auf morgen durch Briten ersetzen lassen, das schwächelnde Pfund tut sein Übriges«, glaubt Maciej Czarnecki, Redakteur der »Gazeta Wyborcza«.

Es geht allerdings nicht nur um Einbußen im Hotel- oder Gastronomiegewerbe. Falls ausländischen EU-Bürgern tatsächlich der Zugang zum britischen Arbeitsmarkt verwehrt werden sollte, kommen Bauunternehmern Maurer und Schweißer abhanden. Auch im Pflegedienst arbeiten zahlreiche Polen und die britischen Landwirte klagen, das Votum vom Juni 2016 habe jetzt schon viele Saisonarbeiter aus Osteuropa verschreckt. »Briten übernehmen nur selten saisonbedingte Arbeit, wer möchte denn schon monatelang von einem Dorf zum nächsten ziehen? Und das in einer Sommerzeit, die in Großbritannien häufig nicht an eine solche erinnert?«, fragt die Tageszeitung »Rzeczpospolita«.

Problematisch sind auch die fremdenfeindlichen Übergriffe, wobei polonophobe Schmierereien an den Wänden noch das harmloseste Symptom eines bisher unbekannten britischen Jähzorns sind. Im letzten Jahr wurde in Harlow ein junger Pole getötet, Prügeleien in Pubs sind gleichsam an der Tagesordnung.

Doch auch die Polen sind der beängstigenden Stimmung auf der Insel überdrüssig. Da werden in sozialen Medien die Briten schon mal als »faule Idioten« beschimpft, die sich selbst nicht organisieren können und nun ihre Selbstverachtung auf die »fleißigen« Polen übertragen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal