Rückkehr in aller Stille

Die US-Whistleblowerin Chelsea Manning ist nach sieben Jahren Haft freigekommen

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 3 Min.

Die berühmte Whistleblowerin Chelsea Manning ist frei. Nach sieben Jahren teilweise unmenschlicher Haftbedingungen wurde sie in der Nacht zum Mittwoch frühzeitig aus dem Militärgefängnis Fort Leavenworth in Kansas entlassen. Das teilte in den frühen Morgenstunden ein Militärsprecher mit. Die 29-Jährige war von Präsident Barack Obama kurz vor dessen Ausscheiden aus dem Amt begnadigt worden. Ein Militärgericht hatte sie zu 35 Jahren Haft verurteilt. Manning verließ das Gefängnis in aller Stille: keine Kamerateams, keine Interviews, keine feiernden Unterstützer. So hatte sie es selbst gewollt.

Vor einer Woche hatte sich die Transgenderfrau - sie war 2010 als Bradley Manning vom Militär festgenommen worden - mit einer schriftlichen Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt. »Zum ersten Mal sehe ich für mich eine Zukunft als Chelsea«, hieß es darin. »Ich kann mir vorstellen, als die Person, die ich bin, zu überleben und zu leben.« Laut ihrem Unterstützernetzwerk sind online Spenden in Höhe von 138 000 Dollar zusammengekommen, die ihr den Übergang in die Freiheit erleichtern sollen. Sie will sich zunächst im Bundesstaat Maryland unweit der USA-Bundeshauptstadt niederlassen, wo Familienmitglieder leben.

Manning hatte unmittelbar nach ihrer Verurteilung 2013 mitgeteilt, dass sie eine Frau sei. Doch das Militär ließ eine Geschlechtsumwandlung zunächst nicht zu. Erst ein harter Kampf mit Hilfe von Anwälten und Unterstützern zwang die Armee zu Zugeständnissen. Eine Benutzung von Kosmetik, weiblicher Unterwäsche und eine Hormonbehandlung konnten durchgesetzt werden. Im vergangenen Jahr unternahm Manning zwei Selbstmordversuche und führte einen einwöchigen Hungerstreik aus. Erst im vergangenen Herbst erhielt sie die Genehmigung für eine operative Geschlechtsumwandlung.

Den Großteil der Zeit musste Manning in Isolationshaft verbringen. Schon bei ihrer Festnahme im Mai 2010 in Kuwait wurde ihr der Kontakt zu Mitmenschen untersagt, ebenso in der Kaserne Quantico. Ein UN-Experte und Amnesty International bezeichneten die Haftbedingungen als Folter. Selbst ein Militärrichter hielt die Isolation nach einer Klage für »grausam und unmenschlich«. In der Einrichtung Leavenworth, in der sie den Großteil der Strafe verbrachte, wurde die Whistleblowerin mehrmals in eine Isolationszelle gesteckt.

Mannings engster Vertrauter, der Anwalt Chase Strangio, erklärte, die psychologischen Probleme aus der Haft seien noch lange nicht überwunden. Trotzdem werde sich Manning neben ihrem eigenen Heilungsprozess für die Rechte von Transgender-Menschen, »für eine transparente Regierung und für demokratische Grundprinzipien einsetzen«.

Eine »weltweite Diskussion, Debatten und Reformen« hatte der junge Datenanalyst Bradley Manning schon kurz nach seinem Eintritt in die Armee auslösen wollen. Im Oktober 2009 flimmerten dem IT-Experten schockierende Geheimaufnahmen über den Bildschirm. Er beschloss, sie zu veröffentlichen. Nachdem sich etablierte Medien weigerten, schickte er die über 720 000 militärischen und diplomatischen Dokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks. Weltweit bekannt wurden daraufhin erschütternde Videoaufnahmen, die aus einem USA-Militärhubschrauber gefilmt worden waren. In dem »Collateral Murder« genannten Dokument ist aus der Sicht von johlenden USA-Soldaten zu sehen, wie sie im Irak Massaker begehen. Weitere Enthüllungen waren Details über Folterpraktiken in Guantánamo sowie Korruption bei mit den USA verbündeten Regimen in Nordafrika und im Nahen Osten. Manning trug mit seiner Datenweitergabe maßgeblich zur Stärkung der USA-Antikriegsbewegung sowie zum Arabischen Frühling bei.

Barack Obama hatte in der Begründung für den Gnadenerlass unter anderem erklärt, Manning habe ausreichend gebüßt. Hillary Clinton hatte - von der Veröffentlichung diplomatischer Depeschen peinlich berührt - dagegen behauptet, Manning habe »das Leben von Menschen und die nationale Sicherheit gefährdet sowie unsere Zusammenarbeit mit anderen Ländern erschwert«. Die Republikanerin und Kommentatorin im rechten TV-Sender Fox Kathleen Troia McFarland hatte sogar Mannings Hinrichtung gefordert. Sie sitzt heute in Trumps nationalem Sicherheitsrat.

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