Nicht nur ein Problem für Fankurven

Christoph Ruf zieht ein Fazit der abgelaufenen Saison und stellt fest, dass es zwei unterschiedliche Arten von Gewalt gibt

  • Lesedauer: 4 Min.

Jedes Frühjahr kommt es in Deutschland zu schlimmen Gewaltexzessen. So wurde allein in meiner Wahlheimat Karlsruhe - im Übrigen alles andere als eine Karnevalshochburg - ein Umzug abgesagt, da nicht genügend Security geworben werden konnte, um all die besoffenen Prügler im Zaum zu halten. Bei allen Umzügen, die danach stattfanden, gab es Verletzte und Schwerverletzte. Im Umland musste eine Halle mit 2100 Menschen morgens um drei Uhr komplett evakuiert werden, um die völlige Eskalation zu vermeiden.

Käme es irgendwo in Deutschland im Fußball zu einer solchen Häufung von Gewalttaten - von »Anne Will« bis »Maybrit Illner« müsste wohl kein Talkformat mehr nach Themen für die nächsten Sendungen suchen. Es scheint hierzulande also völlig unterschiedliche Wahrnehmungen über Gewalt zu geben - je nachdem, ob sie innerhalb oder außerhalb der Welt des Fußballs verübt wird.

Die Debatte um Fangewalt bleibt hysterisch, oberflächlich und populistisch. Sie folgt letztlich ausschließlich den medialen Reflexen. Rauch und paramilitärische Aufmärsche lassen sich gut in bedrohliche Bildfolgen übersetzen - genau deshalb werden sie ja auch als Mittel der Eigen-PR von einer Ultraszene verwendet, der man vorwerfen kann, dass ihr oft die Selbstinszenierung wichtiger ist als das Geschehen auf dem Rasen.

Kein Wunder also, dass in diesem Klima der öffentliche Druck auf Vereine und Verbände enorm ist. Kaiserslautern sah sich zu einer ausführlichen Distanzierung genötigt, weil am Vortag Pyrotechnik abgebrannt worden war. Bei Eintracht Braunschweig machte der Stadionsprecher eine Durchsage, weil ihm die Karlsruher Fans zu unflätig den DFB beschimpften. Bei Dynamo Dresden reiht man nach dem völlig missglückten »Dynamo Dresden Football Army«-Marsch Maßnahme an Maßnahme, um dem DFB zu signalisieren, dass man dessen Forderung, »alles zu tun«, umsetzt. Ob allerdings in der DFB-Zentrale irgendjemand weiß, wie genau man verhindern soll, dass sich 2000 Menschen Tarnfleck-Klamotten besorgen? Oder gar welcher Gesetzesparagraf geschmacklose Verkleidungen verbietet?

Dabei ist Fangewalt natürlich keine Erfindung der Medien oder publicitysüchtiger Politiker. Doch über das, was wirklich besorgniserregend ist, wird selten gesprochen. Da verurteilt man lieber »die Ultras« als Ganzes. Besorgniserregend ist, dass die Fitnessstudios voll sind mit fußballaffinen jungen Leuten, die ihren Körper nicht deshalb aufpumpen, um im Freibad mehr Eindruck zu schinden.

Sie tun das, weil ihnen der klassische Ultra-Alltag zu langweilig geworden ist, weil die Auseinandersetzung mit anderen Fans oder wem auch immer zum alleinigen Zweck geworden ist. Und weil ihnen völlig egal ist, welche Konsequenzen all das hat. Die Rede ist hier von den vermummten Karlsruher Fans, die mit Leuchtspur fast gegnerische Fans und eigene Spieler verletzten, von den jungen Wilden, die im Ruhrgebiet die A 40 rauf und runter fahren. Und die Rede ist vom FC St. Pauli, wo vor kurzem mehrere Dutzend Fans ein Spiel des von HSV-Fans gegründeten HFC Falke am Millerntor nutzten, um dessen an Gewalt nicht die Bohne interessierte Anhänger zu überfallen und zu verprügeln.

Die Parallele: Weder die Leuchtspurattacken von Stuttgart noch der feige Überfall in Hamburg wurde von denjenigen Ultras begangen, denen die Aktion prompt in die Schuhe geschoben wurde. »Das waren die Jungen«, »Kein Spirit mehr«, »Nur noch Stress im Kopf« und immer wieder »Da haben wir keinen Einfluss drauf« - so hörte man von denjenigen, die schon länger dabei sind.

Wenn sich die Ultra-Kultur derzeit ihr eigenes Grab schaufelt - und einiges deutet darauf hin, dass es so ist -, hat das viel mit einer hysterisierten Öffentlichkeit zu tun und mit Politikern, die gerne ihre fehlende Detailkenntnis durch möglichst brachiale Forderungen kaschieren. Darüber kann man sich ärgern. Man sollte aber auch als Ultra noch so viele Antennen heraus aus der eigenen Szene haben, um zu merken, dass diejenigen, die »Ultrà« St. Pauli schon immer am liebsten verboten hätten, heute sehr viel mehr Fürsprecher haben als vor zwei Jahren. Das ist ein Problem für die Gesellschaft, weil in einem Klima, in dem stumpfsinnige Law-and-order-Lösungen immer populärer werden, nichts Gutes gedeihen kann. Und es ist ein Problem für die Fankurven. Entweder gelingt es, die Jungen wieder einzunorden, oder es könnte schon bald gar keine Fankurven mehr geben.

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